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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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erwogen, sich einen eigenen Hund anzuschaffen, um ihre Partei in der Familie um einen Kopf zu vergrößern und damit bei Abstimmungen eine Pattsituation schaffen zu können. Letztlich war es daran gescheitert, dass sich der »Zweithund« – Franks Begriff – hinsichtlich Geschlecht, Charakter, Alter und Rasse zuallererst an Kitty zu orientieren hätte und keineswegs an Dorothees Vorstellungen. Nun, und dann hatten Kitty und Dorothee, trotz gegenseitigen Argwohns, das Beste aus ihrer Ménage-à-trois gemacht. Nach Franks Tod aber begann Kitty, all ihre Demut und Liebe auf Dorothee zu übertragen, die gar nicht wusste, wie ihr geschah. Dorothee meldete sich bei der Arbeit krank und verbrachte ihre ganze Zeit mit der Hündin. Sie schleppte sie zu mehreren Tierärzten und in die teure Tierklinik von diesem Dr. Taunstätt und bezahlte alles, was ihr halbwegs sinnvoll erschien, inklusive homöopathischer Zusatzmittel, die anzupreisen sich die Ärzte nicht einmal viel Mühe machten. Sie bezahlte und bezahlte und dachte dabei an Frank. Es half ihr, um seine Hündin so zu kämpfen, wie sie es um ihn nie hatte tun können. Sein Tod war völlig unvorbereitet gekommen – wie es Verkehrsunfälle nun einmal an sich hatten. Was aber sollte sie mit sich anfangen, wenn Kitty tot wäre?
    Sie führte Kitty an der kurzen Leine, direkt an den Hausfassaden vorbei auf die Fußgängerzone, Kitty kannte den Weg. Vielleicht erinnerte sie sich auch traurig daran, wie sie ihn früher einmal entlanggeflitzt war. Als sie nach einer Weile begann, den linken Hinterlauf nachzuziehen, beschloss Dorothee, an der nächsten Querstraße abzubiegen, um am Taxistand einen Wagen zu nehmen. Kitty war seit Wochen nicht mehr so viel gelaufen wie heute; es war jetzt eindeutig genug.
    »Gleich, Kitty«, sagte sie, »gleich nehmen wir uns ein schönes warmes Taxi.«
    Der Fahrer schaute Kitty skeptisch an, als sie einstiegen.
    Während der Fahrt erinnerte Dorothee sich daran, dass bis vor Kurzem noch sie es gewesen war, die versucht hatte, Frank davon zu überzeugen, dass Kitty eingeschläfert werden musste. Sie war sich absolut sicher gewesen, dass es das einzig Richtige wäre.
    »Kitty hat nichts davon«, begann sie meistens, wenn er abends etwas von seinem Teller unter das Hundefutter mischte, weil die Hündin das vor Jahren immer als das Leckerste überhaupt angesehen hatte. Damals hatte er winzige Häppchen abgezwackt, später trennte er sich von Rumpsteak ebenso leicht wie von Heilbutt.
    »Frank? Hörst du? Es gibt nichts mehr, was wir tun können. Kitty will das nicht essen.«
    »Schau, sie frisst doch!«
    Sie wussten beide, dass das Tier nur ein paar Bissen nehmen und sie wieder erbrechen würde. Frank würde versuchen, das Malheur unauffällig zu beseitigen.
    »Frank, hör mir zu.«
    Er drehte widerwillig den Kopf zu seiner Frau.
    »Schau, Kitty hat dich geliebt und war für dich da, jetzt leidet sie nur noch. Und sie zählt auf uns, dass wir ihr Leiden verkürzen. Es zu stoppen ist alles, was wir noch tun können. Wir sollten es ihr so angenehm wie möglich machen.«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Du weißt genau, worüber ich spreche.«
    Pause. Und dann, als wäre es ihm soeben erst eingefallen: »Wir sollten sie zu einem anderen Arzt bringen. Wir brauchen eine zweite Meinung.«
    »Aber wir haben bisher immer auf Dr. Zeltner gehört, was soll das denn?«
    »Eben. Er kennt sie zu gut. Natürlich hat er Kitty schon viel fitter erlebt. Er ist nicht mehr objektiv, er erinnert sich an die alte Kitty. Dieser Taunstätt soll gut sein.«
    »Der Promi-Tierarzt! Viel zu teuer!«
    Frank senkte den Kopf, und Dorothee legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter, allerdings hörte sie nicht auf, unerbittlich weiterzuargumentieren. Eine der gnadenlosen Spruchweisheiten, mit denen sie in ihrer ebenso gnadenlosen Jugend aufgewachsen war, lautete: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Auf diese Weise hatte Dorothee, dem Rat ihrer Eltern vertrauend, zur Zeit des Abiturs ihre erste große Liebe fallen lassen, weil der junge Mann ihrer Familie unhöflich erschien, hatte ihr Studienfach falsch gewählt – dass sie überhaupt studiert hatte, war ebenfalls den Eltern zuliebe geschehen – und sich zuletzt Aktien eines bestimmten Pharmaunternehmens gekauft, nur weil ihr Vater beim Stammtisch einen Mitarbeiter kennengelernt hatte und sie dazu überredete. Aber sie war immer noch bereit, weitere Fehler dazukommen zu lassen. Frank

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