Die Haie vom Lotus-Garten
heiße Schokolade“,
lächelte Michaela.
Traugott bestellte ein kleines
Bier.
Die Bedienung zog ab. Sie hatte
seit Mittag Dienst. Ihr taten die Füße weh; außerdem hatte der Sonntag nicht
soviel Trinkgeld erbracht wie gehofft.
„Gemütlich hier“, meinte
Michaela leise und rückte mit ihrem Stuhl näher an Traugott heran.
„Sehr gemütlich.“ Er nickte.
„Ich war noch nie hier.“
„Ich gehe meistens ins Café
Pfefferstreuer.“
„Da war ich auch schon.“
„Ist auch gemütlich.“
„Stimmt. Aber die schließen um
18 Uhr.“
„Um sieben, glaube ich.“
„Das war früher. Jetzt gehen
schon um sechs die Lichter aus.“
Traugott lächelte und fühlte in
der Tasche nach dem Blechschächtelchen. Er konnte es in der Hand verstecken.
Der Deckel ließ sich leicht öffnen. Es enthielt ein brutales Mittel: ein
K.o.-Pulver vom Übelsten. Es waren zerstampfte Tabletten, die er und Michaela
in der Drogenszene kauften — für fünf Mark pro Stück. Von den Tabletten wußte
er nur, daß sie eine Psychodroge sind, verwendet in Heilanstalten zur
Ruhigstellung jener Patienten, die an Nerven- und Geisteskrankheiten leiden. In
der Szene hieß das Mittel Stromausfall. Und so wirkte es auch.
„Hier ist bis acht geöffnet“,
sagte Traugott.
„Da haben wir noch Zeit.“
„Fast eine Stunde.“
„Heiße Schokolade ist genau das
richtige bei diesem Wetter.“
„Ich trinke lieber ein Bier.“
„Da würde ich frieren.“
„Hier ist die Gemütlichkeit
stärker.“
„Aber doch nicht bei einem
kalten Getränk.“
Traugott streichelte die Hand
seiner Freundin und blickte versonnen zu einem Tisch älterer Damen hinüber.
Rath-Stubenfrey hatte
unmerklich die Stirn gerunzelt. Das Gespräch der beiden ging ihm auf den Keks.
So ein Bla-Blah! Da fiel es direkt schwer, sich auf die Ratschläge für junge
Frauen zu konzentrieren — diese interessanten Tips für ewige Jugend und
zeitlose Schönheit.
Auch so ein Quark! dachte er.
Die Serviererin brachte die
Getränke.
Der Teebeutel schwamm im Glas
mit heißem Wasser. Die heiße Schokolade war etwas über den Rand gelaufen, und
auch das Sahnehäubchen quoll über. Traugott erhielt ein Flaschenbier.
„Es ist gemütlich hier“, sagte
Michaela zur Serviererin.
Ein müdes Lächeln war die
Antwort.
Rath-Subenfrey zog seinen
Teebeutel hin und her durchs heiße Wasser, nahm ihn schließlich heraus; und das
ausgequetschte Papiersäckchen wurde auf den Rand der Untertasse gelegt.
„Du hast recht“, sagte
Traugott. „Es ist wirklich gemütlich hier.“
Rath-Stubenfrey erhob sich.
Erst mal zur Toilette! dachte
er. Bevor ich die beiden erwürge. So ein Gerede! Ist ja nicht auszuhalten. Ja,
zur Toilette! Inzwischen kann der Tee abkühlen.
Der pensionierte
Verwaltungsbeamte entfernte sich vom Tisch.
Auf diesen Moment hatten die
beiden gewartet. Sie hatten darauf hingearbeitet. Ihr ganzes Verhalten
verfolgte dieses Ziel.
Michaela sah sich um. Niemand
achtete auf sie.
Traugott hatte das
Blechschächtelchen schon geöffnet, und das K.o.-Pulver stäubte in
Rath-Stubenfreys Teeglas. Für einen Moment wölkte es im Darjeeling herum. Dann
hatte es sich aufgelöst. Nichts war mehr zu sehen. Und Rath-Stubenfrey würde
auch nichts schmecken. Allenfalls war der Tee ein wenig bitterer geworden.
Traugotts Hand zitterte noch.
Jedesmal wenn sie den Coup abzogen, benahmen sich seine Nerven wie ein
elektrischer Rührquirl. Auch Michaela war blaß um die Nase.
Es dauerte nur zwei Minuten,
dann kam der Pensionist zurück. Er trank rasch seinen Tee, winkte dann der
Serviererin, wollte zahlen.
Das Pärchen wußte: Die Wirkung
des überstarken Beruhigungsmittels setzte nach etwa zehn Minuten ein.
Rath-Stubenfrey hatte bezahlt.
Traugott schloß sich an und beglich die kleine Zeche für sich und seine
Freundin.
Vier Minuten waren vergangen.
Rath-Stubenfrey stand auf,
nickte den beiden zu, schwankte für einen Moment, fand aber sein Gleichgewicht
wieder, holte den Mantel vom Garderobenständer und schritt dann — etwas
langsamer als üblich — zum Ausgang.
„Hinterher!“ flüsterte
Traugott, als käme auch was anderes in Frage.
Draußen zeigte sich der
Dezemberabend von seiner ungemütlichsten Seite. Hochnebel hatte sich gebildet,
drückte auf die Millionenstadt, schien die Luft anzupinseln mit einem schwefligen
Gelb und verteilte die stinkenden Abgase gerecht auf alle Straßen.
In der Maulbrandt-Straße war
wenig Betrieb. Manche Geschäfte sparten Strom und hatten die
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