Die halbe Sonne
Dunkelheit, die er so dick wie Wolle findet. In der Winterzeit ist kein Denken daran, die Kurve zur Garage hinunter zu schaffen. Der Chevrolet muss beim Ofen geparkt werden und lässt sich morgens nur mit Mühe starten. An einem Samstag wird deshalb ein Laternenpfahl angeliefert. Als er in dem vorgegossenen Fundament verankert worden ist, versieht der Elektriker die Konstruktion mit Strom. Fortan besteht keine Unfallgefahr mehr. Die künstliche Sonne macht es möglich, das schwarze Schiff durch den Winter, in die Unterwelt hinabzunavigieren.
DIE HAFENPROMENADE. Entsteht in jenem Sommer, in dem ein Landsmann im Keller wohnt. Der Vater mag das Seegras nicht, durch das er waten muss, ehe er die spiegelglatte Oberfläche mit zwei kraftvollen Schwimmzügen teilen kann. Diesmal wird gemeinsam mit der Mutter geplant. Sie zeichnet die Entwürfe, er berechnet die erforderlichen Mengen Baumaterial. Als der Kellergrieche die Arbeit aufgenommen hat, dauert es gerade mal eine Woche, bis sie eine Hafenpromenade haben. Vom Schilf an der einen Seite des Grundstücks bis zum Schilf auf der anderen erstreckt sich eine fünfzehn Meter lange Zementkonstruktion, die so fein und glatt ist, dass man Spielkugeln auf ihr rollen kann. In der Mitte schiebt sich ein Pier hinaus, an dem das Motorboot anlegen könnte, das die Familie sich jedoch niemals anschaffen wird.
DIE PLATTFORM . Auch DIE PUNSCHVERANDA genannt. Wird im letzten Sommer in der Villa gebaut. An einem Wochenende graben herbeigerufene Landsleute auf der Seeseite vier tiefe Löcher. Anschließend versenken sie darin ausgemusterte Telefonleitungsmasten, die direkt beim Fernmeldeamt bestellt wurden, und schreinern eine Plattform, die glatt gehobelt und gebeizt wird. Passend zum traditionellen Flusskrebsessen im August ist das Bauwerk fertig. Nun kann der Vater in zehn Meter Höhe die Aussicht bewundern. Sein Blick schweift über Äcker und Wasser – in die Ferne zu dem Hügel am anderen Ufer des Sees, der, schwört er den Söhnen, das einzige ist, was sie daran hindert, sein Elternhaus zu erblicken.
Fremde
In einem Frühjahr hört man eine melodische, erstaunlich elegante Hupe. Sie ertönt entlang der Hagebuttenhecke, um die Weide an der Grundstücksecke herum, an der Reihe von Blutbuchen vorbei und in der Einfahrt. Dann hält mit quietschenden Reifen ein Peugeot, der grün ist wie eine Libelle, und ein sorgsam gekämmter Mann mit gebügeltem Anzug und Krawatte steigt aus. Bei ihm ist ein Junge mit kurzgeschnittenen Haaren, der den Blick seines Vaters sucht, als er die Tür zugeschlagen hat. Eine Stunde später trifft mit schrillen Huptönen ein staubiger dkw ein. Die Handbremse knarrt, woraufhin ein Mann mit hohem Haaransatz und kurzärmligem Hemd aussteigt. Er bürstet die Schalen von Sonnenblumenkernen von seiner Hose, sucht im Laufschritt einen Baumstamm auf und entleert stöhnend seine Blase. Als er grüßt, lacht er.
Zwei Brüder des Vaters haben beschlossen, Nordeuropa einen Besuch abzustatten. Als die Kinder den dkw inspizieren, eine blau-weiße Schnecke auf Rädern, reibt der Cousin mit der Faust über die Heckscheibe. Tote Insekten, roter, hartnäckiger Staub. Die Jungen pressen das Gesicht auf das Guckloch und sehen Bällchen aus Stanniolpapier, einen Topf, ein paar leere Flaschen. Als sie die Tür öffnen, finden sie zwei steinharte Brotkanten. Der Cousin zeigt auf den roten Staub, der sich auf den Topfdeckel gelegt hat. Er erzählt, dass sie von einem Wolkenbruch überrascht wurden, als sie die Grenze nach Jugoslawien überquerten. Der Regen enthielt Sand aus Afrika und hinterließ einen klebrigen Puder, der nicht mehr abzubekommen war. Der Sohn befeuchtet einen Finger, zieht ihn durch den Staub, reibt ihn am Daumen. Denkt: Er kommt aus der Sahara.
Als sie die Fahrertür des zweiten Wagens öffnen, verstehen sie, dass der Cousin mit einer Decke und einem Kissen an das Fenster gepresst geschlafen hat. Unter der Windschutzscheibe liegen eine Karte und eine Schachtel Zigaretten. In der oberen Ecke der Scheibe sitzt eine Vignette, die verkündet, dass dieses Fahrzeug berechtigt ist, österreichische Autobahnen zu benutzen. Um den Rückspiegel hängt ein Rosenkranz, der sich in einem Madonnenbild verheddert hat. Es riecht nach feinem Leder und feinem Rasierwasser. Als der Sohn aufblickt, sieht er, wie der Vater und die zwei Brüder sich darum streiten, wer die Koffer ins Haus tragen soll. Der Vater hat Holzschuhe an den Füßen, die Brüder haben ihre Hände auf
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