Die halbe Sonne
seinen Söhnen, isst im Bademantel zu Mittag, nutzt den Nachmittag zum Schreiben. Ein paar Tage später räumt der Dorfelektriker mit seinem Traktor die Straßen. Danach kann der Vater wieder zum Krankenhaus fahren, hat aber mittlerweile Geschmack an einem Leben auf dem Altenteil gefunden und beschließt, Urlaub zu nehmen. Abgesehen von einem Kinobesuch, bei dem er und die Mutter Omar Sharif lieben und leiden sehen, und aufgewühlt von allem, was das Zelluloid mit Herzen anstellen kann, heimkehren, ist der Dezember ein abgesagter Monat.
Die Familie gewöhnt sich an die unrasierten Wangen, die Pantoffeln, die durch den Flur schlurfen, die benutzten Tassen und Teller, die vor die Bibliothekstür gestellt werden. Ein paar Tage vor Weihnachten steht der Vater jedoch frisch rasiert und duftend in der Küche. Er knöpft sein Schifferjackett bis zum Kinn zu und verschwindet anschließend, ohne Fragen zu beantworten. Zwei Stunden später nähert sich von der Seeseite kommend ein Pferd mit Schlitten. Das Fuhrwerk ist so sagenhaft, dass keiner, der es durch das Küchenfenster verfolgt, auf die Idee verfällt, es könnte sich um jemanden handeln, den man kennt. Als es nicht mehr weit entfernt ist, sieht man allerdings, dass der Vater die Zügel hält und neben ihm der Elektriker mit einer Zipfelmütze der Firma gulf sitzt. Wenn das Pferd in die falsche Richtung zieht, lenken die beiden Männer mit vereinten Kräften. Aus ihren Mündern qualmt es. In der Thermoskanne auf dem Kutschbock schwappt Kaffee mit Schuss.
Der Schlitten, den der Vater soeben gekauft hat, wird zwischen die Bäume am See gestellt. Fortan kann er bei jedem Wetter ausrücken. Im Laufe der Jahre blättert allerdings die Farbe ab. Aus den aufgerissenen Ledersitzen quillt die Strohfüllung. Doch die rostigen Kufen würden ihn immer noch bis nach Varykino tragen.
In der Kindheit der Mythen
Während die Mutter für die Werktage der Woche steht, markiert der Vater die roten Tage. In den Jahren am See kümmert sie sich um die alltäglichen Abläufe, während er sich darauf beschränkt, Wunder zu vollbringen. Insgesamt eins für jedes Jahr sowie eins für die Ewigkeit.
DAS PANORAMAFENSTER. Wird während des ersten Frühlings in dem Haus gebaut. Eines Abends kommt der Vater später als üblich nach Hause. Die Pupillen sind zusammengezogen, sein Lächeln ist vieldeutig. In der Hand hält er ein Flugticket. Er erklärt seiner Frau, dass sie nur den Abend zum Packen hat. Wenn sie ihre Maschine erreichen will, muss sie schon um fünf Uhr aufstehen. Die Mutter protestiert. Es ist nicht so, dass sie ihre Mutter nicht besuchen will. Doch auch wenn es ihrem Gatten schwerfällt, dies zu glauben, zieht sie es vor, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen. Außerdem fragt sie sich, was mit den Kindern ist. Hat er vor, auf sie aufzupassen? Ihre Einwände bleiben wirkungslos. Am nächsten Morgen hupt das Taxi vor dem Gartentor. Anschließend hat der Vater das Wochenende Zeit.
Als das Auto verschwunden ist, ruft er drei Landsleute in der näheren Umgebung an. Eine Stunde später treffen sie, jeder mit einer Zahnbürste in der Tasche, ein. An den folgenden Tagen wechseln sich die Männer beim Babysitten ab, während die anderen rings um die Terrasse der Villa eine Mauer hochziehen. An der Schmalseite zum See errichten sie eine drei Meter hohe und fünf Meter breite Wand, die mit Dachziegeln und einem Panoramafenster versehen wird, so dass der Vater windgeschützt über das sinnieren kann, was in dieser Gegend dem Meer am nächsten kommt. Die Männer arbeiten schweigend, rauchend, mit einer Konzentration, die sich um ihre Schläfen sammelt. Eine Einkaufsliste belegt ihren Einsatz. Abgesehen von Ziegelsteinen und Zement rechnet der Bauherr mit folgendem Verbrauch: »15 kg Brot, 15 kg Kartoffeln, 5 Liter Milch, 1 kg Kaffee, 1 kg Tomaten, 3 kg Reis, ½ kg Butter, ½ kg Margarine, 1 kg Wurst, 2 kg Apfelsinen, 50 Flaschen Limonade, 3 große Konserven, 3 kg Windeln, 2 kg Bananen.« Als seine Frau zurückkehrt, bestaunt sie das Wunderwerk. Danach ist sie eine Woche mit Putzen beschäftigt.
DER FREILUFTOFEN. Wird im folgenden Herbst aus übriggebliebenen Ziegelsteinen gemauert. Er ist groß genug für zwei Lämmer – wozu der Vater seine Kollegen einzuladen gedenkt, sobald die Osterglocken blühen. Wenn er sich nicht bereits wie Daidalos fühlen würde, könnte er auch Hephaistos werden.
DER LATERNENPFAHL. Wird mit Hilfe des Elektrikers aufgestellt. Den Vater stört die schwedische
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