Die halbe Sonne
erlauben. Wenn sie mit ihrer Mutter telefoniert, gesteht sie, niemals gedacht zu haben, dass sie sich auf dem Land wohl fühlen würde, aber nun möchte sie gar nicht mehr weg.
Mit ihren runden Fenstern zu beiden Seiten des Haupteingangs und den Zementkelchen, von denen die Eingangstreppe flankiert wird, erinnert die Villa Seeblick an eine römische Patriziervilla. Das Haus ist genauso hoch wie breit und liegt hinter der Eisenbahnlinie, abseits, aber in Sichtweite des Sportplatzes, auf dem die örtliche Fußballmannschaft ihr Bestes gibt, um den letzten Tabellenplatz in der sechsten Liga zu verlassen. Während der Vater in einer nahe gelegenen Garnisonsstadt im Krankenhaus operiert oder versäumten Schlaf nachholt, streicht die Mutter ein Zimmer nach dem anderen. Im Keller richtet sie sich ein Atelier ein, hat aber kaum Gelegenheit, es zu nutzen, und ersetzt das bric-à-brac der Siedlerjahre durch repräsentative Möbel. Sie baut den Webstuhl aus ihrer Zeit an der Kunstakademie zusammen und versieht ihr Zuhause mit Bettüberwürfen, Teppichen, Gobelins. Sie beauftragt die für Schreinerarbeiten benötigten Handwerker und führt Bewerbungsgespräche mit Kindermädchen. Sie bewirtet Gäste und macht den Bootsführerschein. Im Frühjahr pflanzt sie Blumen und baut Gemüse an, im Herbst harkt sie, begleitet von dumpfen Tritten und Flüchen, Laub. Dies ist ihr Platz auf Erden. Hier beginnt die Schöpfung von neuem.
An einem Spätsommertag einige Jahre später begleitet sie die ältesten Kinder zum Dorfhändler. Sie haben die Erlaubnis bekommen, den schwarzen Chevrolet der Familie zu verkaufen. Er ist zu groß für die Stadt, in die sie ziehen werden, weil der Vater die Dienste hier satthat. Die Jungen verdienen an dem schiffähnlichen Fahrzeug, das auf der Rückseite des Geschäfts vor Anker liegt, dreißig Kronen. Bevor sie heimkehren, setzt die Mutter sich auf den Fahrersitz, streicht nachdenklich über das Lenkrad. Vier Jahre und eine Ewigkeit ist es her, dass sie zum ersten Mal um das Grundstück fuhren und mit diesem sonderbaren, schaukelnden Schwung zwischen die Hecken einbogen.
Der siebte Tag
In diesen Jahren im Haus am See sieht man den Vater in der Regel nur abends und an den Wochenenden. Zeigt er sich ausnahmsweise einmal an den restlichen Tagen der Woche, wird Stille verordnet. Die Kinder dürfen in der oberen Etage nicht spielen, auf der Treppe zu laufen ist verboten, am liebsten sollen sich alle außer Haus aufhalten, bis es dunkel wird. Am Sonntagmorgen allerdings revanchiert er sich. Während seine Frau am siebten Tage ruht, schleicht er in die Küche hinunter. Der Sohn hört den Lärm und folgt ihm. Dort wird er Zeuge dessen, was der Hausherr tut, um seine Ehre wiederherzustellen.
Mit umgebundener Schürze und hochgeschlagenen Pyjamaärmeln vermengt er in einer Schüssel Milch, Mehl, Wasser und Hefe. Auf dem Herd steht der große Topf, gefüllt mit Öl, das bald sieden wird. Er gibt mit der Suppenkelle Teig hinein und fischt eine Minute später mit dem Salatbesteck goldgelbe Gebilde heraus. Ein knuspriges Kissen ähnelt einem Fisch, ein anderes einer stachligen Wolke. Der Vater bereitet lalangídes zu. Jedes neue Exemplar wird auf dem Bett aus Küchenpapier plaziert, das eine große Platte bedeckt. Das ablaufende Öl ist dünn und gelb und formt Pfützen aus Sonne mit braunen Ausfällungen darin. Als er fertig ist, stellt er Honig, Zucker und Zimt auf den Tisch.
Wenn die übrige Familie, geweckt von den Düften, die das Haus in Besitz genommen haben, herunterkommt, steht der Vater vor seiner Rehabilitierung. Ernst wie ein orthodoxer Priester stellt er die Platte auf den Tisch. Ein Küchenhandtuch verbirgt die Herrlichkeit. Er spricht ein Phantasiebyzantinisch, drückt Zeige- und Mittelfinger gegen den Daumen und macht eine segnende Bewegung. Die Familie spielt mit und zügelt ihre Gesichtszüge. Als das Handtuch entfernt wird, ist die Vorstellung jedoch vorbei. Es ist einfach unmöglich, den Auftritt des Vaters als Vertreter des rechten Glaubens ernst zu nehmen. Er mag gerade die Schöpfung gekrönt haben, aber alle wissen, dass der wahre Schöpfer des Daseins über alle Glaubensrichtungen erhaben ist. Und in diesem Moment Strickjacke und Nachthemd trägt.
Der Schlitten
In einem ihrer Winter in der Villa liegt der Schnee meterhoch. Die Welt ist still und weich, wie aus Watte geformt. Mit dem Auto kommt man nicht weit, überraschend kann sich der Vater freinehmen. Er verbringt den Vormittag mit
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