Die halbe Sonne
daran lustig sein soll, aber seine Freude ist so ansteckend, dass sie lächelt. »Hallo?«, fragt der Sohn plötzlich und stellt sich auf ein Bein. »Jemand zu Hause? Kikeriki!«
Neue Thesen über ausländische Väter
XII. Wenn ein Sohn behauptet, es sei möglich zu sein, was ein ausländischer Vater ist, obwohl er die Vokabeln nicht beherrsche, bezweifelt dies der ausländische Vater. Doch auch wenn der ausländische Vater zweifelt, ist er bereit, sich zu irren. Deshalb sagt der ausländische Vater: »Toll wie Toast. Aber wir wollen kein Risiko eingehen. Lern weiter.«
XI. Einem ausländischen Vater gelingt das Kunststück, gleichzeitig umständlich und direkt zu sein.
X. Wenn ein ausländischer Vater etwas klarstellen möchte, worüber er nicht diskutieren will, sagt er: »Lasst uns hinausgehen, damit uns der Himmel besser sieht.«
IX. Ein ausländischer Vater, der Geschichten über sich erzählt, die sich bei genauerem Hinsehen als widersprüchlich erweisen oder denen eine Dimension fehlt, erkennt, dass in der Vergangenheit Leerstellen entstehen. Ein ausländischer Vater weiß, dass er dies nicht ändern kann. Aber er wünscht sich, dass ein Sohn eines Tages selbst auf die Idee kommen wird, die Türen zu gewissen Räumen geschlossen zu lassen. Aus diesem Grund beschließt ein ausländischer Vater, seine Kinder nicht mit Worten, sondern mit Taten zu erziehen.
VIII. Auch ein ausländischer Vater muss geschützt werden. Zum Beispiel durch Nachsicht.
VII. Wenn ein ausländischer Vater und seine ausländische Frau aus verschiedenen Ländern kommen und sich in einem dritten angesiedelt haben, denkt er darüber nach, was wohl passiert wäre, falls sie in einem ihrer Heimatländer gewohnt hätten. Er spürt das Wasser tiefer werden, er ahnt Bewegungen dort unten. Unerwartet freut sich der ausländische Vater, dass sie in einem dritten Land leben. So lernen sie voneinander, auf Wasser zu gehen.
VI. Ein ausländischer Vater denkt oft über etwas nach, was er bei Homer gelesen hat. Die Götter, wird dort behauptet, verstehen alles, was die Menschen sagen, darüber hinaus besitzen die Worte für sie jedoch weitere Bedeutungen, die sie für Sterbliche nicht haben. Ein ausländischer Vater fragt sich, ob das die Götter weniger ausländisch macht – oder mehr?
V. Frage nie, wozu ein ausländischer Vater gut ist. Frage vielmehr, wozu er nicht gut ist. Wenn du keine Antwort erhältst, hast du verstanden, was ein ausländischer Vater ist.
IV. Ein ausländischer Vater, der eine Sonnenfinsternis beobachten möchte, verteilt Negativstreifen. Während die Familie über die Scheibe staunt, die sich langsam vor den Himmelskörper schiebt, schaut er sich um. Unerwartet scheint ihm die Welt falsch zu sein. Die Fichten sind silbrig gelb, das braune Sommerhaus ist schwarz wie Motoröl. Deshalb kehrt ein ausländischer Vater ins Haus zurück. Während er in einer Zeitung blättert, wartet er darauf, dass die Welt wieder so wird wie zuvor. Ein ausländischer Vater will überrascht werden. Aber nicht irrtümlich. Die Sonne soll Sonne bleiben, die Welt Welt.
Offizielle Antworten auf die Frage, warum man umziehen muss
»Weil ich nur eine Vertretungsstelle habe.«
»Weil mich der Chefchirurg persönlich ausgewählt hat.«
»Weil ich die Nachtdienste leid bin.«
»Weil ich finde, dass dieses Land eine Präventivmedizin braucht.«
»Weil ich ein solches Angebot nicht ausschlagen kann.«
»Weil ich mir denken könnte, dass es gut für die Zukunft des Landes ist.«
»Weil ich endlich tun kann, was ich will.«
Alternative Antworten
»Unmöglich, mit den Kindern hierzubleiben. Wir müssen doch noch mehr bekommen.«
»Kein Problem. Auf dem Land haben wir Platz für sie.«
»Die Schulen?«
»Wir bleiben dort nur ein paar Jahre.«
»Die Schulen?«
»Brauchen wir diese vielen Quadratmeter? Im Moment sind wir zu fünft, bald zu viert.«
»Dreißig Jahre. Was haben wir auf diesen Augenblick gewartet.«
Vier Jahre und eine Ewigkeit
Von den vielen Umzügen schmerzt die Mutter nur einer – der aus dem Dorf im nordöstlichen Schonen. Während der Jahre am See mit dem raschelnden Schilf ist sie überzeugt, beim Geräusch von Krocketkugeln im Schatten der Blutbuchen alt zu werden. Die Kinder werden zwischen Bauern und Freiherren aufwachsen, die von ihr gepflanzten Tomaten werden nahrhaft und die Finanzen so geordnet sein, dass sie ohne weiteres in das Heimatland ihres Mannes reisen können, sobald die politischen Verhältnisse es
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