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Die halbe Sonne

Die halbe Sonne

Titel: Die halbe Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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vergangen ist, seit sie mit hastigen Bewegungen alles ausgewischt haben, was bis dahin auf seiner Tafel geschrieben wurde.

Fantaisie nocturne

    Nimm diesen Vater und lass ihn eines Nachts am Küchentisch sitzen. Lass ihn in diesem Moment erkennen, dass er sich trotz allem, was in seinem Heimatland vorgeht, an keinem anderen Ort befinden will, lass ihn an die warmen Körper denken, die in den Zimmern über ihm atmen, und lass ihn sie in Gedanken einen nach dem anderen berühren. Lass ihn wissen, dass ein Mensch, der einen Haushalt aufbaut, alles in seiner Macht Stehende tun muss, damit jeder Winkel für alle zugänglich ist. Aber lass ihn auch finden, dass manche Bereiche ruhig noch verschlossen bleiben können. Oder wenn nicht verschlossen, zumindest unzugänglich. Lass ihn deshalb denken, dass die Türen noch ein paar Jahre Handflächen gleichen sollen. Und lass ihn beschließen, dass es für die Kinder so bleiben soll, bis sie alt genug sind zu verstehen, dass nicht alles im Leben freiwillig passiert.
    Vielleicht wird ein solcher Vater an Varykino denken. Als der russische Doktor die Tür zu der verfallenen Sommerresidenz aufdrückte, war es, als beträte er ein Außen. Bei dem Gedanken an ein Heim, das seine eigene Außenseite enthält, fühlt sich der Vater verwirrenderweise glücklich. In seiner Vorstellung macht dies die Behausung offen und unendlich. Er lacht und begreift, dass es kein sichereres Zuhause geben kann. Danach bettet er den Kopf in die Hände auf dem Tisch. Und beginnt, sich zu erinnern.

Inventur von Dingen, die von der Zeit ausgewischt werden, oder solchen, die möglicherweise unzugänglich bleiben, während ein Gesicht in einem Paar Hände ruht

    Der flaumige Schnurrbart eines sechzehnjährigen Cousins.
    Das Ende des Gürtels, das er in den Hosenbund gesteckt hat, weil es sonst herabhängt und schlenkert wie eine Blindschleiche.
    Der Rücken eines Cousins, wenn er mal nach rechts, mal nach links pendelt, während sie durch den Apfelsinenhain zur Steinmauer hinaufgehen.
    Der abgesengte Erdboden unter ihren Füßen. Und der Geruch von Ruß.
    Ein Cousin, der pfeift. Ein Cousin, der Melodien pfeift wie kein anderer. Die Internationale. Volkslieder. Einen Tango. Serenaden für Mädchen, mit so viel Feuchtigkeit und Wärme in den Tönen, dass es brennt wie Fruchtsaft auf leeren Magen.
    Das Licht, das unter den Bäumen flackert. Die Erde, die sich in schimmerndes Wasser mit Tausenden Schattenfischen verwandelt.
    Die letzte Zigarette. Die sie sich teilen, als sie sich auf die Steine gesetzt haben. Die der Cousin ihm reicht, nachdem er sie sich wie Alan Ladd angezündet hat. Die der Cousin wieder entgegennimmt, wobei er fragt, ob er sich noch an den Tag erinnere, an dem sie gemeinsam ins Wasser gesprungen sind, nachdem sie mit ihrem nächtlichen Fang an Land gerudert waren. Die er zwischen Daumen und Zeigefinger klemmt, um einen letzten Zug zu nehmen, ehe er sie in einem weiten, ewigen Bogen fortschnippt, während das Nikotin durch ihr Blut rauscht.
    Die Herbstsonne. Die Herbstsonne, die einsam alles sieht, was sie tun. Die Herbstsonne, auf die der Cousin zielt, als er das Gewehr aus der Steinmauer gewühlt hat.
    Das Gewehr. Ein altes russisches Mosin-Nagant, das, als es noch einen Riemen hatte, von einem Partisanen im Krieg gegen die Deutschen getragen wurde. 1,7 Kilo Holz und Metall.
    Das zerrissene Laken, in das die Waffe gewickelt ist. Das Laken, das bald auf eine pumpende Brust gepresst wird.
    Der erste Schuss. Schnurstracks in den Himmel.
    Und der Cousin, der sein rollendes Echo nachahmt. Mit einem langgezogenen Pfiff am Ende. Wehmütig. Beeindruckt. Verführerisch. (Dies in umgekehrter Reihenfolge.)
    Der Cousin, der nachlädt und ihm das Gewehr reicht. Der die Sonne im Rücken hat, als er sagt: »Du bist ein Freiheitskämpfer. Dann schieß doch.«
    Die Sonne, die plötzlich blendet. Der Schuss, der sich ungewollt löst. Der Cousin, der nichts mehr tut.

Die vorletzte These über ausländische Väter

    II. Ein ausländischer Vater, der immer noch spürt, wie 1,7 Kilo Holz und Metall in seinen Händen ihr Eigenleben führen, verrichtet danach alles in seinem Dasein sorgfältig. Das macht seine Handlungen zeremoniell. Wie er sich die Nägel in sanften, methodischen Kurven schneidet. Wie er die Apfelsine schält, indem er mit dem Messer Schnitte ansetzt und danach, die Spitze zwischen Daumen und Klinge geklemmt, die Blätter abzieht. Wie er die zusammengefalteten Strümpfe anzieht, indem er seine

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