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Die halbe Sonne

Die halbe Sonne

Titel: Die halbe Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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seine erste Gedichtsammlung schenkte und als sie zwei Jahre später nicht in die Wohnung ziehen konnten, die sie gerade frisch gestrichen hatte, obwohl sie den Mietvertrag unterschrieben hatten und sie im siebten Monat schwanger war. Sie spürte die Kräfte im Schweigen ihres Mannes, als er neben ihr ging, entmutigt, aber entschlossen, während der Schnee unter den Schuhsohlen knirschte, und als er plötzlich so sehr einer Katze ähnelte, dass sie sich nicht mehr sicher war, wohin sie ihre Füße setzen sollte. Sie waren da, als er ihr erstes Kind hochhielt, um ihr zeigen zu können, dass es ein Sohn war. Sein Lächeln hing direkt mit diesen Kräften zusammen, die auch da waren, als ihr Junge zwei Jahre später von dem Balkon im zweiten Stock herabpinkelte und die drei, vier Personen, die auf den Bus warteten, sich beschwerten, während ein gewisses Elternteil von einem so rebellischen Lachen geschüttelt wurde, dass es Häuser zum Einstürzen hätte bringen können.
    Sie weiß, dass ihr Mann auch festgezurrte Kräfte enthält. Und dass diese nur vertäut bleiben, solange sie ihnen vertraut.

Stillleben

    Als der ohnmächtige Vater nicht weiß, was er tun soll, beschließt er abzuwarten. In den Augen anderer wirkt dieses Warten umtriebig. Denn in der Zwischenzeit handelt er doch mit Händen und Mund, durch alles, was er sagt und tut. Aber im Grunde harrt er, zurückgezogen in einem unzugänglichen Teil seiner selbst, nur aus. Der Sohn denkt an die nackte Glühbirne, die in der Gästetoilette hängt. Als der Vater ihn an einem Sommertag bittet, die Jodflasche aus dem Arzneischrank zu holen, zittert die Lampe, obwohl der Rest des Zimmers sich nicht rührt. Bei seinem Vater ist es genau umgekehrt. Er wartet in sich selbst, reglos, aber aufmerksam. Was zittert, ist die Welt.

Im tiefsten Inneren

    Der Sohn fragt sich, aus welcher Farbe der Vater besteht, und kommt zu dem Schluss, dass es granatapfelkernrot sein muss. Er weiß nicht, warum er sich seiner Sache so sicher ist. Aber die Farbe passt zu seinem Temperament, und als er eines Nachmittags die Wunde am Schienbein des Vaters sieht, kommt allein sie in Frage.
    Der Vater hat mit dem Rasenmäher etwas gemacht, was er nicht hätte tun sollen. Während er mit seinem Unterhemd das Blut abwischt, mustert der Junge seine Holzschuhe, auf denen Hunderte kleiner, abgeschnittener Grashalme kleben. Nachdem der Vater die Wunde mit Jod gesäubert hat, das aus der Gästetoilette geholt wurde, studiert er den Schnitt mit der amüsierten Sachlichkeit eines Chirurgen. Dem Sohn treten Tränen in die Augen, als er sieht, wie seine Finger die Wundränder auseinanderziehen. Er denkt, dass der Vater genau dort ist, in dieser Blume aus Fleisch. Prachtvoll, übertrieben, pulsierend. Er blinzelt und fragt sich, ob man wirklich in sich selbst hineinschauen kann. Der Vater nickt, die Zunge zwischen den Zähnen gefaltet, dann bittet er das Kind, ihm nicht die Sicht zu versperren. Während er die Sehnen untersucht, erklärt er, dass er feststellen muss, wo die Klinge des Rasenmähers aufgehört hat zu rotieren. Im selben Moment sieht der Sohn, dass es im tiefsten Inneren eines Vaters weiß ist wie Knochen.

Tabula rasa

    Wenn der Vater nicht schlafen kann, weil der Nachtdienst den Körper aus dem Takt bringt, legt er sich auf die Seite, sieht die Äste der Bäume hinter den Vorhängen schwanken und denkt an eine Zeit mit Fensterläden, von denen Farbe abblättert, staubigen Straßen und quietschenden Kreiden auf der Schiefertafel zurück. Werden diese Gedanken zu schwermütig, setzt er die Füße auf den Boden, lauscht den flachen Atemzügen seiner Frau und geht in die Küche hinunter. Die Treppe knarrt in der Dunkelheit, das Licht der Laterne an der Garageneinfahrt lässt die Fettflecken auf dem Fenster hervortreten. Das Haus atmet still und methodisch, was auch der Vater tut, als er ein Glas vom Geschirrständer nimmt und es unter den Wasserhahn hält. Er trinkt in langsamen Schlucken, das Wasser gleitet silbrig durch seine Kehle. Dann setzt er sich an den Tisch, betrachtet seine Handteller. Sie sind fünfunddreißig, vielleicht auch sechsunddreißig Jahre alt. Keine Schwielen, kaum Spuren von Benutzung. Am Trauring schwillt die Haut an. Er streicht sich mit den Fingern durchs Haar, kratzt sich mit den Nägeln am Hinterkopf, legt die Hände wieder auf den Tisch.
    Der Vater weiß, was er seinen Händen zu verdanken hat. Und welche Schuld sie ihm eingetragen haben. Er denkt, dass ein halbes Leben

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