Die Hand am Sack: schwule erotische Geschichten (German Edition)
uns bald zu wie im Wilden Westen. Bekamen wir eines Tages wirklich amerikanische Verhältnisse , wie viele befürchten? Ein schrecklicher Gedanke, doch die täglichen Zeitungsmeldungen bestätigten die Eskalation der Gewalt. Vom Staat war keine Hilfe zu erwarten, und die Justiz ermutigte die Strolche geradezu durch lächerlich geringe Strafen oder gravierende Ungleichbehandlung, vornehmlich das Wohl der Täter im Auge und nie das der Opfer. Und ewig wird mir ein Rätsel bleiben, wie die Gauner es anstellten, immer mit geringen Strafen davonzukommen. Ließe ich bei Karstadt eine Strumpfhose mitgehen, so käme ich gewiss hinter Gitter, während den Gaunern alle erdenkliche Nachsicht zuteilwurde.
Nach dieser unangenehmen Erfahrung war mir klar, dass ich etwas tun musste, wenn ich in der Ellenbogengesellschaft, auf die wir zusteuerten, überleben wollte. Vielleicht würde ich einen Kurs in Selbstverteidigung belegen, Taekwondo oder Karate. Es gab ja schon entsprechende Angebote speziell für Schwule, und zu erleben, wie kreischende Schwestern sich gegenseitig aufs Kreuz legten, war sicher ergötzend. Sobald ich den Schwarzen Gürtel hätte, würde ich beruhigt wieder auf nächtliche Pirsch gehen können. Bis dahin war Vorsicht geboten.
Figaro (1983)
»Wie hätten Sie’s denn gern?«, fragt Uli gestelzt, während er die papierne Halskrause über den Rand meines Frisierumhangs stülpt. Ich sehe damit aus wie ein Pfarrer.
»Am liebsten von hinten«, grinse ich in den Spiegel, wo unsere Augen sich treffen. Er lacht und macht aus der Hüfte die Andeutung einer Ehestandsbewegung, die an Elvis Presley erinnert: »Aktiv oder passiv?«
Da brauche ich nicht lang zu überlegen: »Ist mir gleich«, antworte ich in den Spiegel, worauf er den Kopf in meine Richtung neigt und die Augen verdreht: »Okay, aber nicht heute. Vielleicht das nächste Mal, wenn der Laden nicht so voll ist.«
Wir lachen beide und er holt sein Werkzeug aus dem bereitstehenden Utensilienkoffer, Kamm und Schere. Damit baut er sich hinter mir auf, buckelig wie der Glöckner von Notre Dame, mit einer Geste, als ob er statt meines Haarschopfs einen Teller Spaghetti vor sich hätte und auf das Startsignal zu einem Wettessen wartete: »Also?«
Ich muss unwillkürlich grinsen. Der Kerl hat nur Scheiße im Kopf. Darum mag ich ihn und lasse keinen anderen an meinen Skalp. Uli ist ungefähr in meinem Alter, so um die Dreißig, und wir kennen uns seit mehr als zehn Jahren. So lange bin ich schon Kunde in dem Salon, wo er arbeitet. Alle drei Wochen zum Friseur, bei einem Kurzhaarschnitt ist das notwendig und geht ganz schön ins Geld, doch allein wegen ihm lohnt sich der Aufwand. Ihn nur anzuschauen, seine schlanke Gestalt, das schmale Gesicht mit den herb-männlichen Zügen, dem dichten Schnauzer und dem dunklen Haarschopf, der ihn an Tom Selleck aus der Serie „Magnum“ erinnern lässt, ist unbezahlbar. Er ist ein Macho, wie sie auf den Hochglanz-Fotos teurer US-Magazine wie Mandate oder Honcho oft zu sehen sind. Wie er mir einmal erzählt hat, rasiert er sich nur alle zwei, drei Tage, weshalb er gelegentlich einen atemberaubenden Stoppelwald im Gesicht stehen hat. Ich stelle mir dann vor, wie es wäre, meine Wangen daran zu reiben und das elektrisierende Kratzen unserer Bärte zu spüren.
Seinem Äußeren entsprechend gebärdet er sich derb und raubeinig, doch ich weiß, dass hinter der rauen Schale ein lieber Kerl steckt. »Auch ein schlechter Ruf verpflichtet«, meint er gelegentlich und trägt damit seinem Image Rechnung, ein Ferkel zu sein, das nur Sauereien im Kopf hat und seine Kundschaft ständig mit neuen, pikanten Geschichten versorgt. Wenn ich am anderen Tag ins Büro komme und die Kollegen meinen Haarschnitt sehen, heißt es nur: »Ah, du warst beim Friseur, los erzähl!«
Meine Vorliebe für den Figaro selbst wird ergänzt von einem Faible für kurz geschnittene Haare, überhaupt für alles Kurze bei Männern – oder fast alles: Haare, Bart, Fingernägel und so weiter. Das Kurze und Kompakte lässt einen Kerl aus einem Guss entstehen, erlaubt ihm eine strenge Kontrolle über sich selbst und schafft Bewegungsfreiheit. Ein Kerl mit kurzen Haaren kann im Sturm spazieren gehen oder Purzelbäume schlagen, ohne um seine Frisur bangen zu müssen, einer mit kurzen Fingernägeln kann unbesorgt einen Dübel in die Wand schrauben oder beim Kegeln kräftig die Kugel stoßen oder einen Roman auf der Maschine tippen, ohne sich einen Nagel abzubrechen.
Uli
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