Die Hand am Sack: schwule erotische Geschichten (German Edition)
Hymne vermittelte ein Gefühl grenzenloser Freiheit. Prickelnde Erotik, Gay-Pride, der Wunsch alle Konventionen über Bord zu werfen und sich hemmungslos auszuleben, das alles schwang in der eingängigen Melodie mit. Ich spürte jeden der rhythmischen Schlagzeug-Akkorde im Magen und hatte bald das Gefühl, von den Bässen wie von einem imaginären Partner gestoßen zu werden. Schon nach wenigen Minuten glich die Tanzfläche einem brodelnden Hexenkessel, der die Temperamente zum Überschäumen brachte.
Ich dachte einen Moment an meine Eltern und fragte mich, was sie wohl zu dieser Szenerie gesagt haben würden. »Verrückte Welt«, wäre sicher ihr Kommentar gewesen. Wie Recht sie hatten, und wie herrlich verrückt diese Welt war! Wahrscheinlich war auch ich verrückt, denn ich hätte jeden umarmen können in diesem Käfig voller Narren und fühlte mich wie im Siebten Himmel. Und ich hätte mir gewünscht, dass der Song eine Ewigkeit gedauert hätte und nicht nur siebzehn Minuten und fünfundvierzig Sekunden. Schon nach zehn Minuten war mir so heiß, dass ich meinen Pullover ausziehen musste. Mein blonder Freund tat es mir nach und kämpfte sich zu unseren Barhockern durch, um die Kleidungsstücke dort abzulegen. Kaum war er weg, da schrie mir ein bärtiger Typ ins Ohr: »Mach’ weiter!« Ich lachte nur, zeigte ihm den Vogel und antwortete, nachdem er so nahe gekommen war, dass ich den herben Duft seines Rasierwassers wahrnehmen konnte, unbedarft: »Heute ist Weihnachten, da gibt’s keinen Strip! Hast wohl den Arsch offen!«
Diese gebräuchliche Redewendung war mir gänzlich ohne Hintergedanken über die Lippen gekommen, doch der Kerl nickte beifällig, worauf ich mir ein Lachen nicht verbeißen konnte. Wir lachten beide noch, als mein blonder Freund längst zurückgekehrt war, immer wenn unsere Blicke sich trafen.
Nach Ende des Stückes war ich schweißgebadet und völlig geschafft.
»Jetzt brauch’ ich einen Hocker und was zu trinken«, stöhnte ich, während wir an die Bar zurückkehrten. Als ich die beiden frisch gezapften Pils an unserem Platz sah, zog ich erstaunt eine Augenbraue hoch. Er hatte sie bestellt, als er unsere Pullover in Sicherheit gebracht hatte.
»Manchmal hast du ganz gute Ideen«, lästerte ich, während ich mir den Pullover über die Schultern hängte.
»Was heißt manchmal?«, protestierte er. »Du kennst mich doch gar nicht.«
»Ja richtig«, musste ich zugeben, »ich weiß nicht einmal, wie du heißt …«
»Axel«, antwortete er kurz.
Der Name passte zu ihm.
»Das macht nichts«, beruhigte ich ihn, worauf er den Ball zurückspielte: »Du mich auch!«
Er war schlagfertig, das gefiel mir. Ein scheues Lächeln auf beiden Seiten, vielsagende Blicke, die hin- und herwanderten, Mauern, die allmählich abbröckelten. Dieses erste Beschnuppern, zögernd und vorsichtig, solange bis das Eis gebrochen war, bereitete mir immer unsägliches Vergnügen.
»Ich heiße Klaus«, sagte ich und deutete auf unsere beiden Gläser. »Was hältst du davon, dass wir Brüderschaft trinken …?«
Sein Blick fiel auf die verführerischen Schaumkronen der beiden Pils, die über den Rand hinausragten, dann auf mich.
»Du bist doch bloß auf einen Schmatz aus«, grinste er, worauf ich laut auflachte: »So ein Adonis bist du nun auch wieder nicht. Aber die Idee mit dem Schmatz ist nicht schlecht. Wie gesagt, manchmal …«
Er schüttelte ungläubig den Kopf: »Ich hab’ den Eindruck, du bist komplett verrückt.«
»Aber lieb«, ergänzte ich voller Bescheidenheit und bohrte den Blick in seine Augen, während wir unsere Gläser hoben.
»Was ist nun mit dem Schmatz?«, drängte ich, worauf er ein wenig erschrak.
»Du meinst hier vor allen Leuten?«
»Warum nicht? Wir sind unter uns, und außerdem haben wir Weihnachten, das Fest der Liebe …«
Ein Blick in die Runde, wo man einige Gays miteinander schnäbeln sah, schien ihn zu beruhigen.
»Also gut, von mir aus.«
Wir beugten uns etwas vor, dann spürte ich, wie sein Bärtchen meine Oberlippe kitzelte und mein Magen mit jenem wohltuend flauen Gefühl reagierte, das höchste Alarmstufe anzeigte. Natürlich versuchte ich, mit der Zunge zwischen seine Zähne zu dringen, doch er stieß mich sanft zurück.
»Ich dachte, du wolltest nur einen Brüderschaftskuss«, schimpfte er mit strenger Miene. »Wenn man dir den kleinen Finger reicht, willst du gleich den ganzen Schwanz!«
Ich tat unschuldig und nannte ihn einen Spielverderber, während ich nach
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