Die Hassliste: Roman (German Edition)
Mädchen, das jetzt selbst von allen gehasst wird.«
Er hielt inne und beugte sich über seinen Schreibtisch. »Das ist haargenau der Grund, warum du’s machen sollst. Dieses Mädchen bist du nämlich nicht, Val. Du bist es nie gewesen.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich muss jetzt wieder. Im Wartezimmer sitzt schon jemand.«
»Ja, in Ordnung«, sagte ich. »Danke für den Ratschlag.«
»Das ist kein Ratschlag«, sagte er unterwegs zur Tür, zu der ich ihm folgte. »Sondern eine Hausaufgabe.«
»Kannst du hier auf mich warten?«, bat ich Mom. »Ich bin gleich wieder da.«
»Hier? Bei den Zeitungsbüros?«, fragte sie. »Was gibt’s denn hier für dich zu tun?« Sie schielte durch die Windschutzscheibe auf das Backsteingebäude, auf dem groß die Worte SUN-TRIBUNE prangten.
»Es geht um das Schulprojekt«, behauptete ich. »Um die Gedenkstätte. Ich muss Unterlagen abholen von einer Frau, die für uns was recherchiert hat. Sie arbeitet hier.«
Wahrscheinlich schrillten in Moms Kopf jetzt sämtliche Alarmglocken. Sie war spät von der Arbeit gekommen und hatte mich ganz ungeplant bei Dr. Hieler abholen müssen. Und dann hatte ich sie auch noch gebeten, mich von dort direkt zu den Büros der
Sun-Tribune
zu fahren, ohne irgendeine Erklärung, die hinausging über ein vages Versprechen, ihr später alles zu erzählen.
Sie wirkte nicht so, als würde sie meine Geschichte glauben, aber sie bohrte nicht nach.
»Mom, es ist alles okay«, sagte ich mit der Hand auf dem Türgriff. »Vertrau mir.«
Sie sah mich lange an, dann beugte sie sich vor und schob mir die Haare von der Schulter zurück. »Das tue ich«, sagte sie. »Ich vertraue dir.«
Ich lächelte. »Es dauert nicht lange.«
»Tu einfach, was du tun musst«, sagte sie und setzte sich wieder hinters Lenkrad. »Ich warte hier.«
Ich stieg aus dem Auto, drückte die Flügeltüren auf und betrat das Gebäude der
Sun-Tribune
. Ein Wachmann saß am Empfang und deutete wortlos auf ein Anmeldeformular. Nachdem ich es ausgefüllt hatte, drehte er es zu sich und las meinen Namen.
»Und worum geht es?«, fragte er.
»Ich muss Angela Dash sprechen.«
»Hast du einen Termin mit ihr?«
»Nein«, gab ich zu. »Aber sie hat viel über mich geschrieben, also wird sie mich bestimmt sprechen wollen.«
Er sah mich zweifelnd an, griff aber schließlich nach dem Telefon und nuschelte etwas hinein.
Ein paar Minuten später kam eine ziemlich plumpe, dunkelhaarige Frau in einem viel zu engen Jeansrock und altmodischen Stiefeln auf mich zugetrottet. Sie führte mich durch eine Glastür in den Innenbereich.
»Ich bin Valerie Leftman«, sagte ich.
»Ich weiß, wer du bist«, antwortete sie. Ihre Stimme klang kräftig und ein bisschen maskulin. Sie fegte jetzt hastig durch die Gänge und ich lief stolpernd hinter ihr her, um sie nicht zu verlieren. Schließlich verschwand sie in einem schäbigen kleinen Büro, in dem es außer demgrauen Schein eines Computerbildschirms kaum Licht gab. Ich folgte ihr hinein.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch. »Herrje, was hab ich alles angestellt, um mit dir sprechen zu können«, sagte sie, wobei sie alle Aufmerksamkeit auf den Bildschirm richtete und wild mit der Maus herumklickte. »Deine Eltern haben wahnsinnig gut auf dich aufgepasst.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass sie alle Anrufe überwacht haben. Das hab ich erst viel später mitgekriegt«, sagte ich. »Aber wahrscheinlich hätte ich sowieso nicht mit Ihnen geredet. Damals hab ich praktisch mit überhaupt keinem geredet. Auch nicht mit meinen Eltern, die so wahnsinnig gut auf mich aufgepasst haben.«
Sie sah von ihrem Bildschirm auf und warf einen desinteressierten Blick in meine Richtung. »Was führt dich hierher? Bist du jetzt bereit zu reden? Wenn das so ist, muss ich dir allerdings sagen, dass wir dich nicht mehr brauchen können. Die Story ist inzwischen leider ziemlich ausgelutscht. Abgesehen von dem Selbstmordversuch und der Schweigeminute hat es in letzter Zeit nichts mehr Neues dazu gegeben. Das Thema ist durch, der Amoklauf ist Schnee von gestern.«
Auch wenn Angela Dash anders aussah, als ich sie mir vorgestellt hatte, benahm sie sich definitiv so wie vermutet, was mich nur bestärkte. Ich zog den Artikel heraus, den ich in Ginnys Krankenhauszimmer hatte mitgehen lassen, und schmiss ihn auf den Tisch.
»Ich möchte, dass Sie aufhören, solches Zeug zu schreiben«, sagte ich. »Bitte.«
Der Finger auf der Maus hörte auf mit dem
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