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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Brown
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wüsste er nicht, wovon ich rede. Er legte den Kopf schief und ließ die Tür wieder zufallen.
    »Du weißt nicht, was du zu wissen glaubst«, sagte er. »Lass uns nach Hause fahren. Das hier geht dich überhaupt nichts an.«
    »Es liegt also nicht an mir«, sagte ich. »Ich bin nicht schuld daran, dass ihr euch hasst, Mom und du. Du bist schuld.« Obwohl mir natürlich klar war, dass meine Eltern schon vor dem Amoklauf nicht gut miteinander ausgekommen waren, schlug diese Erkenntnis bei mir ein wie eine Offenbarung. Und aus irgendeinem Grund ging es mir dadurch noch schlechter als vorher. Wahrscheinlich hatte ich insgeheim vermutet, wenn es nur an mir lag, würden Mom und Dad wieder verliebt und glücklich sein, sobald ich ausgezogen war. Aber jetzt, wo das bildschöne, schamrote Gesicht von Britni/Brenna mit ins Bild gehörte, war absolut sicher, dass Mom und Dad sich nie mehr verstehen würden. Die Streitereien der letzten Jahre erschienen auf einen Schlag irreparabel. Und auf einmal war mir auch klar, warum ich mich an Nick geklammert hatte wie an einen Rettungsring – er kanntesich nicht nur mit miesen Familienverhältnissen aus, er wusste auch, wie es sich anfühlte, wenn nichts je wieder gut werden würde. Irgendein Teil von mir musste geahnt haben, was da ablief.
    »Valerie, hör einfach auf damit.«
    »Die ganze Zeit hab ich mich beschissen gefühlt, weil ich dachte, du und Mom, ihr hasst euch wegen mir. Dabei hast du einfach eine Affäre mit deiner Sekretärin. Gott, ich bin so ein Idiot.«
    »Nein.« Er seufzte und legte seine Hand an die Schläfe. »Deine Mutter und ich, wir hassen uns nicht. Du weißt überhaupt nichts über meine Beziehung zu deiner Mutter. Und sie geht dich auch nichts an.«
    »Dann ist das hier also okay?«, fragte ich und machte eine Handbewegung Richtung Toilette. »Das ist okay?« Wahrscheinlich dachte er, ich meinte das, was zwischen ihm und Britni/Brenna lief, was in diesem Zusammenhang ja auch am plausibelsten war. Aber mir ging es um etwas anderes, nämlich um das Lügen. Er log, er tat, als wäre er jemand anderer, als er in Wirklichkeit war – genau wie ich das getan hatte. Und das war anscheinend okay. Aber es fühlte sich verdammt noch mal überhaupt nicht okay an. Und ich fragte mich, wieso er nach allem, was passiert war, nicht verstand, dass es nicht okay war, so zu tun, als wäre man jemand anderer.
    »Bitte, Valerie, lass uns zusehen, dass du nach Hause kommst. Ich habe viel zu tun.«
    »Weiß Mom Bescheid?«
    Er schloss die Augen. »Sie denkt es sich wohl. Aber gesagt habe ich es ihr nicht, falls du das meinst. Und ich wäre sehr dafür, dass du nicht zu ihr rennst und ihr waserzählst, denn im Grunde hast du keine Ahnung, was hier läuft.«
    »Ich muss los«, sagte ich und drängte mich an ihm vorbei durch die Tür. Die kalte Luft draußen fühlte sich jetzt, beim Rauskommen, viel besser an als vorhin beim Reinkommen.
    Während ich den Bürgersteig entlang in die Richtung ging, aus der ich gekommen war, lauschte ich angestrengt nach ihm. Ich wartete darauf, dass er sich aus dem Fenster lehnte und rief:
Halt, Valerie! Du hast das alles falsch verstanden, Valerie! Ich liebe deine Mutter, Valerie! Lass mich dich doch nach Hause fahren, Valerie!
    Aber das tat er nicht.

 
    Ich lief zurück zur Schule. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun können. Unterwegs sprach ich Mom auf ihre Mailbox.
    »Hallo, Mom. Ich musste mir wegen einer Hausaufgabe helfen lassen und hab den Bus verpasst«, log ich. »Ich warte einfach hier, hol mich dann nach deiner Besprechung ab, ja?«
    Bei der Schule angekommen, ging ich hinein und ließ meine Sachen neben der gigantischen Glasvitrine fallen, die allen Besuchern der Schule sofort ins Auge stechen sollte. Hier waren blinkende Football- und Leichtathletik-Pokale ausgestellt und dazu überdimensionale Fotos von ehemaligen Trainern, die ihre Zeiten des Ruhms längst hinter sich hatten. Sie waren einfach weg und das war’s.
    Ich hockte mich neben der Vitrine auf den Boden und zog mein Notizbuch heraus. Ich wollte etwas zeichnen, wollte über ein Bild meine Gefühle zu fassen kriegen. Aber ich wusste nicht recht, was ich zeichnen sollte. Ich war dermaßen durcheinander, dass es mir schwerfiel zusehen, was da war. Ich brachte es einfach nicht fertig, meinen Bleistift die Züge von Britnis/Brennas Gesicht kritzeln zu lassen. Ich schaffte es nicht, dieses Gesicht so zu formen, dass es in den Umriss von Dads schuldbewusstem Auge passte –

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