Die Hassliste: Roman (German Edition)
es geschafft hatte.
Warme Luft hüllte mich ein und ich blieb erst einmal im Eingangsbereich stehen, um mir den Oberschenkel zu reiben, bevor ich zu seinen Büroräumen hinüberging. Es roch nach Mikrowellen-Popcorn – der Duft umkreiste mich und erinnerte mich daran, dass ich Hunger hatte. Ich folgte dem Geruch durch den Vorraum und ging um die Ecke in den Wartebereich.
Hinter ihrem Schreibtisch saß Dads Sekretärin und blinzelte mich an. Ich wusste ihren Namen nicht mehr. Ich hatte sie nur einmal kurz getroffen, bei einem Familienpicknick, das letzten oder vorletzten Sommer durch die Zentrale von Dads Firma organisiert worden war, und erinnerte mich vage, dass sie Britni oder Brenna oder so ähnlich heißen musste, jedenfalls war es einer von diesen trendigen Namen. Ich wusste allerdings noch gut, dass sieerst vierundzwanzig war und absolut unglaubliche Haare besaß – sie hatten die Farbe von dunklem Kakao und hingen ihr glatt und glänzend um die Schultern wie der Umhang eines Superhelden. Dazu sah sie einen aus riesigen Kuhaugen an, die langsam auf und zu gingen; ihre vertrauensvoll dreinblickenden, weit geöffneten Pupillen waren umgeben von einer Farbe, die man wohl am besten mit dem Wort »frühlingsgrün« beschreibt. Ich weiß noch genau, wie hübsch sie war und wie schüchtern, und dass sie länger als irgendwer sonst lachte, wenn Dad einen von seinen blöden Kalauern riss.
»Oh«, sagte sie und lief rot an. »Valerie.« Das war eine Feststellung. Sie lächelte nicht dabei. Sie schluckte – haargenau so, wie sie das in Filmen immer machen – und ich stellte mir vor, wie sie unter ihrem Schreibtisch nach dem roten Alarmknopf suchte, nur für den Fall, dass ich plötzlich eine Waffe zückte.
»Hallo«, sagte ich. »Ist mein Dad da? Er soll mich nach Hause fahren.«
Sie schob sich auf den Rollen ihres Schreibtischstuhls ein Stück vom Tisch weg. »Er hat gerade einen Telefonter-«, setzte sie an, doch sie konnte den Satz nicht beenden, denn genau in diesem Moment flog die Tür von Dads Büro auf.
»Du, Liebling, könntest du mir den Santosh-Ordner raussuchen?«, sagte er, die Nase in einem Stapel Papier versenkt. Er lief hinter dem Stuhl von Britni/Brenna vorbei. Sie rührte sich nicht, errötete aber immer mehr. Als Dad an ihr vorbeiging, legte er ihr wie selbstverständlich die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht – eine Geste wie diese hatte er Mom gegenüber seit Ewigkeitennicht mehr gemacht. Britni/Brenna zog den Kopf ein und schloss die Augen. »Was ist los mit dir, Schatz? Du wirkst so angespannt«, begann er, doch da fiel sein Blick endlich auf mich und er unterbrach sich.
Sofort zog er die Hand von ihrer Schulter und nahm die Unterlagen, die er trug, wieder in beide Hände. Es war eine winzige, unauffällige Bewegung und beinahe hätte ich mich gefragt, ob ich wirklich gesehen hatte, was ich glaubte, gesehen zu haben. Vielleicht wäre ich sogar auf die Idee gekommen, ich hätte mir das alles nur eingebildet, wenn mein Blick nicht zufällig auf dem Gesicht von Britni/Brenna gelandet wäre, das nun so tiefrot angelaufen war, dass es glänzte. Ihre Augen waren starr auf den Schreibtisch geheftet und sie wirkte, als würde sie sich zu Tode schämen.
»Valerie«, sagte Dad. »Was machst du hier?«
Ich riss meinen Blick von Britni/Brenna los. »Ich brauch jemanden, der mich heimfährt«, sagte ich. Zumindest glaube ich, dass ich das sagte. Ganz sicher bin ich nicht, denn meine Lippen fühlten sich total taub an. Britni/Brenna murmelte irgendwas vor sich hin, sprang von ihrem Stuhl auf und düste Richtung Toiletten. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie erst wieder rauskommen würde, wenn ich weg war. »Mom … mhm … Mom hatte eine Besprechung.«
»Oh«, sagte Dad. Bildete ich mir das nur ein oder wurde er jetzt auch rot? »Oh, tja. Na gut. In Ordnung. Ich bin gleich so weit.«
Mit entschlossenen Schritten ging er zurück in sein Büro und ich hörte ihn dort herumräumen, Schubladen zumachen, mit seinen Schlüsseln herumklappern. Ichstand stocksteif da und begann mich zu fragen, ob ich mir die ganze Sache nur eingebildet hatte.
»Okay?«, fragte Dad. »Ich muss gleich wieder zurück sein, also lass uns schnell machen.« Ganz sachlich. Ganz Dad. Ich hatte es nicht anders erwartet.
Er öffnete die Tür, aber ich konnte mich nicht bewegen.
»Ist das der Grund, warum ihr euch hasst, Mom und du?«, fragte ich.
Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, er wollte so tun, als
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