Die Hebamme
Passagieren, die Mitreisende im Schlaf bestahlen. Nicht zu denken an die Herbergen, wo sie möglicherweise kaum etwas anderes vorfinden würde als ein verwanztes Strohlager.
Wer nur sollte in Wien die Sachen wieder auspacken und sie sorgsam richten? Im Hause des Professor Wolf, wo sie wohnen würde, hatte die Gottschalkin gesagt, dort fände sich schon jemand. Jemand! Mit einem Seufzen bückte sich Marthe zwischen den offen stehenden Schranktüren, lud sich den Arm voll mit Weißwäsche und tauchte wieder auf. Auf dem Tisch, der leer geräumt war von Papieren und Büchern, eigenhändig von der Herrin in einen weiteren Koffer gepackt, der mit aufgeklapptem Deckel unter dem Fenster stand – auf dem nun seit Jahren zum ersten Mal blanken Tisch begann Marthe Unterkleider und Schlafhemden zusammenzulegen, während ihr das Herz noch schwerer wurde. Von Tag zu Tag war es ihr schwerer geworden, seit die Gottschalkin den Platz in der Postkutsche gekauft hatte, unwiderruflich nur einen, seit sie die letzte Hoffnung aufgegeben hatte, zur Not auf dem Kutschbock mitfahren zu dürfen.
»Du musst doch das Haus hüten, Marthe«, hatte die Herrin gesagt. »Und ein wenig warten musst du, nicht lange. In einigen Monden, wenn ich Klarheit habe, dann schreibe ich dir.«
Klarheit! Ach, dachte sie denn wirklich nicht, dass sie längst Klarheit hatte? Dass sie es nur nicht wagte, der Verschwiegenheit ihrer Herrin entgegenzutreten? Denn Marthe brachte es nicht fertig, ihr zu sagen, auf den störrischen Kopf zu: »Ich habe doch gesehen, dass Ihre Brüste größer geworden sind, dass Ihre Haut frischer erscheint, dass Ihr Haar noch mehr glänzt, wenn ich es bürste. Ich weiß doch längst, dass Sie ein Kind tragen, und ich will bei Ihnen sein.« Es ziemte sich nicht, ihr zu sagen, wie sehr sie sie liebte. So sagte Marthe nichts und prägte sich mit wachsendem Kummer jede einzelne Anweisung ein, die sie zu hören bekommen hatte.
»Wenn dich aus Wien ein Brief von mir erreicht, Marthe, etwa im Junimond, dann wirst du ihn dir von einer vertrauensvollen Person vorlesen lassen. Es kann dies der Doktor Heuser sein, oder auch Gesa Langwasser, sofern sie sich noch in Marburg befindet. Du wirst also den Rest packen, das Haus verschließen, und dann wirst du mir nach Wien nachreisen in einer deutlich angenehmeren Zeit des Jahres.«
Marthe legte einen Stapel Wäschestücke in den Koffer und schaute hinüber zum Fenster, wo die Gottschalkin gestanden hatte, als sie sagte: »Heul nicht, Marthe. Sonst rede ich nicht mehr mit dir, und außerdem sollst du zum Schnäuzen nicht die Schürze benutzen.« Unbedingt im gleichen Moment hatte die Herrin einige Bücher im Koffer versenken müssen, während sie weitersprach. »Sollte der Brief nicht von mir, sondern von Professor Wolf verfasst sein, dann gibt es da ein weiteres Schriftstück, das du in der obersten Schublade der Kommode vorfinden wirst, hörst du?«
Aber ja. Jedes Wort. Drüben an der Wand über der Kommode waren zwei helle Flecken. Die Eltern der Gottschalkin reisten mit. Marthe meinte sterben zu müssen vor Sorge um sie.
Es war Aufregung, die ihr das Blut durch die Adern jagte und das Herz erhitzte. Im milchigen Licht des Morgens, das durch die Eisblumen in die Kammer sickerte, band Gesa ihr Haar straff über dem Scheitel zusammen und teilte es in drei Stränge. Mit fliegenden Fingern flocht sie die Zöpfe und wand sie in sinnloser Sorgfalt zu einem Knoten, der anschließend unter der weißen Haube verschwinden würde. Diese lag mit der Schürze auf ihrem Bett bereit, und beides hatte sie in einer schlaflos verbrachten Nacht am Schüttstein gewaschen, vor dem Herdfeuer getrocknet und in der Herrgottsfrühe dieses Tages mit dem Eisen geplättet.
Seit einigen Stunden sah sie eine Bedeutung hinter allem. Was den Professor anging. Warum er sie nicht mehr aus dem Haus hatte gehen lassen. Als er plötzlich damit begonnen hatte, eine der anderen Schülerinnen zur Apotheke zu schicken, vermutete Gesa, dass etwas von ihren vormaligen Besuchen bei der Gottschalkin zu ihm durchgedrungen war.
Es hatte sie einen Verdacht hegen lassen. Es ließ sie warten, ob Clemens ihr etwas berichten, ob er zu ihr kommen und ihr sagen würde, was sich bei der Gottschalkin zugetragen hatte. Sie dachte, wenn er käme, ohne dass sie fragte, gäbe es ihr ein Zeichen, dass sie ihm vertrauen konnte. Bis jetzt hatte sie vergeblich gewartet.
Seit einigen Stunden jedoch meinte Gesa zu begreifen, warum Kilian ihr einen neuen
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