Herz dder Pflicht
PROLOG
Frühlingsbeginn 1813
„Wer um alles in der Welt hat mir bloß diesen albernen Namen gegeben?“ Pandora stürmte in den Salon, ohne sich dafür zu entschuldigen, dass sie ihre Tante Em bei ihrer Handarbeit störte. „Ich muss dich das fragen.“
Die Tante, die an die direkte Art ihrer Nichte gewöhnt war, antwortete gleichmütig: „Ich denke, es war deine liebe Mama. Als sie dich erwartete, las sie einen Roman, in dem die Heldin Pandora hieß. Sie fand den Namen romantisch und nicht so langweilig wie Charlotte oder Amelia, die ihrer Meinung nach besser zu den Nachkommen deutscher Königsfamilien passten.“
„Ach, Tante.“ Pandora seufzte und nahm auf dem Sessel gegenüber ihrer Tante Platz. „Wenn ich doch nur einen richtig langweiligen Namen hätte! Bevor die Leute mich kennenlernen, glauben sie, einem liebreizenden Geschöpf zu begegnen – und keiner Amazone aus einer griechischen Legende, die in der Größe an die meisten Männer heranreicht. Und dann gibt man mir den Spitznamen Dora, der auch nicht schön ist …“
„Ich finde Dora sehr hübsch“, wandte die Tante ein, während sie einer großen Rose ein paar Stiche hinzufügte.
„Darum geht es nicht“, rief Pandora heftig. „Als ich neulich bei Lady Larkin einem Gentleman vorgestellt wurde, wirkte er ziemlich verstört. Anscheinend hatte man ihm gesagt, dass ich eine beträchtliche Summe von Julian, meinem Großvater mütterlicherseits, erben würde und dass es sich dabei um ein Treuhandvermögen handelt, in dessen Genuss ich erst komme, wenn ich siebenundzwanzig bin, damit William das Geld inzwischen nicht anrühren kann – aber nicht einmal das milderte die Tatsache, dass ich ein gutes Stück größer war als dieser junge Mann.“
„Hätte ein langweiliger Name etwas an den Dingen geändert?“, erkundigte sich die Tante ungerührt.
„Dass ich Pandora heiße, hatte offensichtlich bestimmte Erwartungen in ihm geweckt. Ich hörte, wie er Roger Waters erzählte, er sei davon ausgegangen, eine zarte und zierliche junge Dame kennenzulernen und keine Bohnenstange, die einem Mann das Gefühl gibt, kleiner zu sein, als er tatsächlich ist. Und was viel schlimmer war, man hatte ihm offenbar auch berichtet, dass ich Großvaters Güter für ihn leite, weil sich mein Halbbruder lediglich für sein Vergnügen interessiert. Unter diesen Umständen werde ich wohl niemals einen Gatten finden. Nun ja, im Augenblick könnte ich mir das ohnehin nicht leisten. Es ist nur so, dass ein gewisser Makel an einer Frau haftet, die mit dreiundzwanzig Jahren noch nicht verheiratet ist.“
Tante Em, die ihren verstorbenen Gemahl sehr geliebt hatte, erwiderte ruhig: „Das verstehe ich, indes hättest du doch die Frau deines Cousins Charles Temple werden können. Schließlich hat er drei Mal um dich angehalten.“
„Aber die Vorstellung, den Rest meiner Tage mit ihm zu verbringen, hat nichts Anziehendes für mich. Außerdem war er nur hinter meinem Geld her. Seine Schwester hat es mir verraten.“
„Nicht sehr nett von ihr.“
„Nur leider wahr, wie du weißt. Ich wünschte, das Leben wäre nicht so kompliziert. Zuerst müssen wir jetzt für Jack einen neuen Hauslehrer suchen, da der letzte sich als völlig unpassend erwiesen hat. Ein Dienstmädchen, das von einem Hauslehrer ein Kind erwartet, ist schon schlimm genug. Zwei kann man nicht mehr tolerieren. Ein schlechtes Beispiel für den Jungen.“
Ihre Tante seufzte. „Pandora, du solltest von solchen Dingen gar nichts wissen, geschweige denn so offen darüber reden.“
„Da es mir überlassen blieb, mich um die Hinterlassenschaft des Mannes zu kümmern, nachdem er mit einem dritten Mädchen weglief, konnte ich mich wohl kaum ahnungslos stellen. Großvater Compton ist ein Invalide, der seine Ruhe braucht, und du bist unfähig, zu irgendjemand unfreundlich zu sein. Mein Halbbruder William ist selten hier und wenn, treibt er sich in der halben Grafschaft herum. Mein Bruder Jack ist erst dreizehn. Außer mir gibt es niemand, der dafür sorgt, dass in Compton Place alles einigermaßen ordnungsgemäß verläuft.“
„Der Gutsverwalter könnte dir helfen.“
„Rice? Der ist doch völlig unfähig. Da er bereits seit einer Ewigkeit hier ist, lehnt Großvater es ab, ihn in Pension zu schicken. Also bleibe nur ich übrig. Ich wünschte, mein Vater hätte nach dem Tod von Williams Mutter nicht noch einmal geheiratet. Jack und ich wären gar nicht geboren, ich müsste mich nicht um ein bankrottes Gut
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