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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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dass sie keinen Unterschied machte zwischen denen, die sie gut oder reich bezahlten, und den anderen, den Ärmsten …«
    »Worauf allerdings eine jede Hebamme den Eid zu leisten hat.«
    »Aber ja.«
    »Sie haben Mitleid mit ihr, das ehrt Sie als Christenmenschen«, sagte Siebert. »Jedoch als Bürgermeister, Homberg … Sehen Sie …«, er wartete, bis das Mädchen das Zimmer verlassen hatte, »trotz ihrer schwer begreiflichen sittlichen Verfehlung …«
    Man konnte nicht sicher sein, ob Homberg einen Essensrest aus den Zwischenräumen seiner Zähne zu entfernen suchte oder ein ärgerliches Schnalzen von sich gab.
    Unbeirrt davon sog der Pfarrer den Duft der Gewürze ein, bevor er weitersprach. »… trotz ihres Umgangs, mit dem sie sich gegen Gott versündigt hat …«
    »… und gegen drei Menschen im Mindesten«, ergänzte Kilian, während er das silberne Fischmesser akkurat wie ein Skalpell ansetzte, »allein die Mutter des jungen Fessler …«
    »Ich höre, sie verkauft die Apotheke an Herbst?«
    »Ja, ich riet ihr dazu«, sagte der Professor. »Verzeihen Sie, Pfarrer Siebert, dass ich Sie unterbrach. Wie war Ihr Vorgehen bei der Gottschalkin?«
    »Ich suchte sie auf, denn was mich mit ihr in gewisser Weise verbindet, ist doch die Vielzahl der Kinder, die sie zur Taufe in unsere Kirchen trug.«
    »Zuweilen führte Sie allerdings auch der Tod einer Gebärenden am Wochenbett zusammen.«
    »Fälle dieser Art haben sich mit der Gottschalkin allerdings in den Jahren nicht häufig ergeben.« Siebert räusperte sich, was seinem hageren Gesicht einen angestrengten Ausdruck verlieh. »Nun also – ich bot ihr entgegen einer öffentlich auszuübenden Buße das gemeinsame Gebet mit mir, wozu sie sich vage bereit erklärte. Indessen zu keinem Bekenntnis der Verfehlungen, deren sie bezichtigt wurde. Mir scheint, ihr fehlt die Einsicht, besonders in Hinblick auf eine Haltung, zu der ihre Stellung sie verpflichtet. Sie fragte mich, ob es nicht üblich sei, dergleichen mit einer Geldstrafe zu dispensieren, was ich bejahte, wohl meinend, wir näherten uns nun einem Eingeständnis. Stattdessen wollte sie wissen, wie hoch die Summe sei – sie wolle sie klaglos entrichten. Ihr Ton war spöttisch, auch als ich ihr mitteilte, dass sie vom Abendmahl ausgeschlossen sei, dass kein Pfarrer in Marburg ein Kind von ihr zur Taufe annehmen werde, bis sie sich in Demut ihrer Kirche und ihrem Gott gegenüber finden würde. Sie sagte, sie werde die Zeit der Besinnung zu nutzen wissen.«
    »Die Beweislage im Sinne eines Fornikationsdeliktes ist also denkbar schlecht«, sagte Homberg und legte das Besteck auf seinem Teller ab. Vom Aal hatte er kaum gegessen. Er zog sein Weinglas näher zu sich und betrachtete dessen goldgelben Inhalt. »Was hat es denn mit diesen angeblichen dichterischen Ergüssen des jungen Fessler auf sich, auf die sich die Verdächtigungen stützen? Nachdem man damit schon seine Melancholie zu beweisen suchte.«
    »Nun, leider verhält es sich so«, sagte Kilian, »dass Caroline … dass die Witwe Fessler – was man verstehen muss – im Affekt verbrannte, was sie im Schreibpult ihres Sohnes fand. Die Scham und auch Schuld, die sie der unglücklichen Schwiegertochter und deren Familie gegenüber empfand, ließ sie so handeln. Betrüblicherweise traf ich zu spät ein, um sie daran hindern zu können. Doch sie berichtete mir die Details. Später erst, nachdem …«
    Hombergs Hände fuhren ungeduldig über das Tischtuch. »Und selbst wenn diese fragwürdigen Schriften erhalten wären – was beweisen schon die Briefe eines krankhaft empfindsamen Menschen? Womöglich handelte es sich um Hirngespinste. Ich kann nicht tätig werden auf der Basis von hitzigen Gerüchten.«
    »Die Flucht der Gottschalkin vom Friedhof allerdings …« Siebert gab zum ersten Mal an diesem Abend seine kerzengerade Haltung auf und lehnte sich zurück.
    »… es war ein wahrhaftiges Schuldbekenntnis, Homberg«, sagte Kilian. »Ihrer Menschenkenntnis, die Sie mit Ihrer Erfahrung als Richter zweifellos erworben haben, wäre das nicht entgangen, hätten Sie Zeuge des Geschehens sein können.«
    »De facto haben wir nichts als die Anschuldigungen einer aufgewühlten Mutter, die den Ruf ihres Sohnes schützen will, der wiederum nicht Manns genug war, mit seiner gesunden, jungen Frau die Ehe zu vollziehen.«
    Nebenan, im Salon, ließ Malvine ihren Stickrahmen sinken. Innerlich applaudierte sie ihrem Gatten an dieser Stelle, obwohl sie sich seinem Wunsch

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