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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Dienstherrin hatte gesagt, es sei zu ihrem Besten, aber sie wusste doch nicht, wovon sie redete, als sie ihr versprach, sie würden ihr helfen in jenem Haus. Sie hatte vielleicht noch nie gehört, was die Leute erzählten. Oder doch?
    Im Laufen schlangen sich die Röcke um ihre Beine, durchnässt und schwer, als wäre sie durch Schlamm gewatet. Sie stellte sich die Stiege vor und zählte im Stillen die Stufen, die außen am Haus zur Öffnung des Dachstuhls führten, wo sie das Stroh lagerten. Sie würde der Versuchung widerstehen müssen, sich unten in der Werkstatt am Brennofen aufzuwärmen, denn er wurde bewacht.
    Und sie würde alle Kraft brauchen, unbemerkt hinaufzukommen. Sie würde alle Kraft brauchen, ihr Kind zu gebären. Ohne einen Laut.

    Der Himmel riss auf, und in der Märzsonne konnte Gesa Langwasser sehen, wie hässlich das Haus war. Es stand in keinem guten Ruf, das hatte sie gleich bemerkt, als sie am Barfüßertor das erste Mal nach dem Weg fragte, und noch hatte sie keine Ahnung, warum das so war.
    »Das Haus Am Grün?«
    Keiner ließ es sich nehmen, den Worten einen ganz besonderen Klang zu geben, und stets waren diese begleitet von einem Blick auf ihre Körpermitte.
    Die Leute hatten ihr kaum ins Gesicht geschaut. Die Leute sahen das, was sie immer sahen, wenn nach dem Haus Am Grün gefragt wurde: eine Frau in Schwierigkeiten. Man hörte Dinge und erzählte sie gern weiter, denn man konnte sicher sein, damit jederzeit Zuhörer zu finden. Diese Frau schien nun gar nicht zu wissen, was sie erwartete. Dafür hatte sie sich zu viel Mühe gegeben, anständig zu erscheinen. Ihr blondes Haar war aus dem jungen Gesicht zu einem straffen Knoten gezurrt und von einer bestickten Kappe bedeckt, deren Bänder sie sorgfältig unter dem Kinn verschlossen hatte.
    Die Blicke der Leute hatten sich an nichts länger aufgehalten als am Bund ihrer Röcke, von denen sie drei übereinander trug, wie es auf den Dörfern üblich war. Sogar Lederschuhe hatte sie an. Wenn man es so betrachtete, waren ihr die Schwierigkeiten nicht anzusehen.
    Die Bemühungen, ihr den Weg zu erklären, fielen nicht sonderlich gründlich aus. Gesa musste sich mit vagen Richtungsangaben zufrieden geben und mit Straßennamen, die ihr hingeworfen wurden, gleichgültig, ob sie etwas damit anfangen konnte.
    Sie hätte meinen können, man schickte sie mit einer gewissen Absicht kreuz und quer durch Marburg. Doch für Gesa gab es keinen Grund, so etwas anzunehmen. Alles Fremde war an ihr vorübergeglitten, es war so vieles, und sie hatte es zu eilig, als dass sie es fassen konnte. Nur der Gestank und der Dreck in den Gassen sagten ihr, dass manches in der Stadt nicht anders war als zu Hause.
    Erst als eine der Frauen, die sie nach dem Haus fragte, den Kopf geschüttelt und Gesa ein armes Kind genannt hatte, war sie ungeduldig geworden. Fast hatte sie alles erklären wollen: dass sie nach Marburg gekommen war, weil es neue Gesetze gab, die von allen Hebammen verlangten, sich einer Prüfung durch Ärzte zu unterziehen; dass es der Dorfschulze damit sehr ernst nahm und ihm das Wort der Frauen nicht reichte. Gesa hätte erklären können, wie stolz sie darauf war, dass sie von ihnen einstimmig gewählt worden war und der Schulze auf einer Prüfung bestand. Doch sie erklärte nichts und fragte niemanden mehr.
    Sie stand am unteren Ende der Stadt vor dem Haus mit der fleckigen Fassade und war nicht einmal enttäuscht. Sie hatte sich beim besten Willen nicht vorstellen können, was ein Gebärhaus war, und darüber, wie es aussehen könnte, hatte sie sich erst recht keine Gedanken gemacht.
    Bis heute kannte Gesa nur wenig mehr als ihr Dorf, das in einer Senke lag, zwei Tagesmärsche von Marburg entfernt. Dort hatte sie gelebt, seit sie denken konnte. Sie wusste, dass sie dort zwar nicht geboren, aber mit Tante Bele in einer Zeit dort angekommen war, an die sie keine Erinnerung hatte. Gesa kannte kaum mehr als die abgelegenen Höfe, zu denen sie oft mit ihr gelaufen war. So wie in der frostigen Nacht, die Bele mit dem Leben bezahlen musste, nachdem sie zusammen noch ein anderes auf die Welt geholt hatten.
    Gesa blinzelte hinüber zum Fluss, auf dem in der späten Sonne Lichter tanzten. Einige Trauerweiden neigten sich dem Wasser zu, und die Uferwiesen waren noch braun vom Winter. Sie dachte an ihren Garten, der jetzt am Hang vor dem kleinen Haus schmucklos dalag. Wäre alles so geblieben, wie es war, dann hätten sie bald in den ersten Apriltagen die Beete

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