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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Eins
    MARBURG, MÄRZ 1799
    Sie hatte nicht erwartet, dass der Schmerz aus der Mitte des Rückens kommen würde, und nun zerrte er an ihr, als wollte er sie in Stücke reißen. Wenn er ihr eine Ruhepause gönnte, dann nur, um danach noch zorniger zu werden.
    Feine Schneeflocken schwebten an ihr vorüber, berührten sie kaum, schienen nur die Nacht ein wenig heller zu machen, und kälter. Der Winter war noch einmal zurückgekehrt, als hätte er in den Wäldern vor den Toren der Stadt nur darauf gewartet, sie in dieser Nacht hier anzutreffen und ihr alles noch schwerer zu machen.
    Alle waren gegen sie, davon war sie inzwischen überzeugt. Alle, die in den Häusern der Oberstadt schliefen. Denen es nicht passieren konnte wie ihr, schnurstracks in die Hölle zu geraten für etwas, das ohne jedes Versprechen über sie gekommen war. Das reichte, um gegen sie zu sein. Sie konnte nicht anders, als zu glauben, dass sie es verdiente. Etwas anderes hatte man ihr nicht beigebracht.
    Sie lief, so schnell sie konnte, und kam doch kaum voran auf der alten Pilgerstraße, die unten an der Stadt entlangführte. Ihre Füße fühlte sie nicht mehr, sie hatten in der Kälte jede Beweglichkeit verloren, fanden keinen Halt auf dem steinigen Weg.
    Sie hatte es nicht gewagt, ihre Holzschuhe mitzunehmen, denn sie musste auf ihrer Flucht jedes Geräusch vermeiden. Heute Nacht war sie das erste Mal froh gewesen über das Schnarchen der alten Textor, deren schlechter Atem ihr mehrfach ins Gesicht geschlagen war. Dann, wenn sie nach ihren Wehen gefragt hatte.
    Keine der anderen Frauen hatte sie aufgehalten, und sie hatte nicht darauf geachtet, ob sie schliefen oder vielleicht wach lagen in den harten, mit muffigem Stroh gestopften Betten. In wenigen Stunden würde eine von ihnen wieder hinter die Flügel jener Tür geführt werden. Im Fortgehen hatte sie es vermieden, dort hinzuschauen, als könnten sie sich plötzlich öffnen und sie für alle Ewigkeit verschlucken.
    Draußen hatte sie den Fluss gerochen und für einen Moment in Erwägung gezogen, allem ein Ende zu setzen. Doch dann war der Schmerz zurückgekommen, in einer mächtigen Welle, um sie von dem Haus nahe der Brücke fortzutreiben. Dieser Schmerz, den sie gefürchtet und den sie seit Einsetzen der Dunkelheit belauscht hatte. Sie durfte sich doch nicht verraten, denn was sie dort erwartet hätte, wäre noch schlimmer gewesen als alles, was sie bisher über sich ergehen lassen musste.
    Das hatte sie begriffen in den Tagen, die mit Angst begannen, noch bevor man sie rief und die Scham sie durchflutete.
    Wenn die Hände der Alten sie mit rohen Griffen auf den Tisch hievten, vor die wartenden Männer. Wenn dieses Zittern durch ihren Körper lief, das sie nicht beherrschen konnte. Immer hielt sie den Blick gesenkt, sie wollte sich schützen, nur ein Versuch.
    Hände hatten ihren Leib betastet, waren in sie eingedrungen, als suchten sie in ihr nach einem düsteren Geheimnis. Worte, deren Bedeutung sie nicht verstand und die nie an sie gerichtet waren, sprachen sie schuldig, immer wieder, jeden Tag.
    Sie wusste von Werkzeugen, mit denen sie das Leben aus ihr herauszerren würden. Sie hatte die Schreie einer Frau gehört und den barschen Ton der Alten, der diese zu einem Wimmern erstickte.
    Ein leichter Wind fuhr durch die Bäume des verwilderten Parks, an dem sie vorbeimusste. Sie hörte Äste knarren und zog das Schultertuch enger um sich. Sie versuchte, ihre Schritte zu beschleunigen, und plötzlich, ohne dass erneuter Schmerz sie gewarnt hätte, spürte sie einen heißen Schwall zwischen den Beinen hervorbrechen. Sie suchte Halt, und für einen Moment spürte sie die zerfurchte Rinde eines Baumriesen so hoffnungsvoll wie eine menschliche Berührung. Ein Schluchzen stieg in ihr hoch, sie schlug die Hand vor den Mund, um es nicht herauszulassen. Mit der anderen umschlang sie ihren Bauch, der hart war und sie nach unten zog, sodass sie ihm am liebsten nachgegeben hätte. Sie wollte auf die Knie fallen, sich auf die Hände stützen, das Gewicht von ihren steifen Beinen nehmen, von den wunden Füßen. Sie wollte ihren Rücken lehnen an etwas, das sie wärmend stützte, und alles geschehen lassen, auch die Schmerzen. Sie wollte schreien.
    Stattdessen setzte sie ihren Weg fort und lief weiter auf der dunklen Straße, ohne jemandes Schlaf zu stören.
    Sie hatte es nicht mehr weit bis zum Haus des Töpfers, dort, wo sie als Magd verdingt gewesen war, und wo man sie weggeschickt hatte. Die

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