Die Heilanstalt (German Edition)
erklärte. Es war ein weitläufiger Raum, der mit dem gleichen Fliesenboden wie das Schwimmbad ausgestattet war. Auch die holzverschalte Decke war identisch, doch war sie hier flacher und mit orangefarbenen Lampen bestückt, die eine angenehme Wärme ausstrahlten. Unter den Lampen waren in mehreren Reihen gepolsterte Liegen platziert, von denen zurzeit nur wenige besetzt waren. Die Gäste entspannten sich in Bademantel und Schlappen, manche lesend, andere dösend. Gesprochen wurde hier kein Wort; es war so still wie in einer Bücherei.
»Dort hinten ist eine Sauna«, flüsterte Melanie. Patricks Blick folgte der Linie ihres ausgestreckten Zeigefingers; am Ende des Raums entdeckte er einen kleinen Holzbau, aus dem in diesem Augenblick ein älterer, schweißüberströmter Mann trat. Schnaufend befreite er sich von einem Handtuch, das er sich um den dicken, behaarten Bauch gebunden hatte, warf es auf eine Liege und stellte sich daraufhin nackt unter eine Dusche, derer sich mehrere in einer kleinen, durch eine hüfthohe Mauer abgetrennten Nische befanden. Als das offenbar kalte Wasser auf ihn niederprasselte, stieß der Mann einen kurzen Schrei aus und schüttelte sich wie ein nasser Hund, der sein Fell trocknen will.
»Hier lässt es sich aushalten«, sagte Patrick, ebenfalls im Flüsterton.
Melanie lächelte. »Mein Wort drauf! Wenn man einmal hier ist, will man gar nicht mehr weg.«
Sie kicherte, als Patrick sich demonstrativ zu gehen weigerte und sie einige Kraft aufwenden musste, um ihn nach draußen zu zerren.
Anschließend bekam Patrick die Turnhalle zu sehen. Sie war ungefähr vierzig Meter lang, zwanzig Meter breit und hatte auf dem Boden aufgemalte Linien für ein Fußball-, Handball- und Basketballfeld. Außerdem gab es Begrenzungen für sechs Badmintonfelder, auf denen gegenwärtig jedoch die Netze fehlten, während die Fußballtore und Basketballkörbe fest installiert waren. Entlang jener Längsseite der Halle, die dem Eingang gegenüberlag, gab es ansteigende Sitzreihen für Zuschauer. Unter der Tribüne waren alle möglichen Sportartikel verstaut, etwa Medizin-, Fuß-, Feder- und Basketbälle, verschiedenfarbige Trikots, mehrere Turnpferde, Badminton- und Hockeyschläger sowie Springseile und Hanteln.
In der Turnhalle waren zehn Tischtennisplatten aufgestellt, von denen vier benutzt wurden. Die Echos der Ballsprünge füllten die Halle; einmal kam es zu Gelächter, als ein Querschläger dazu führte, dass der Ball auf der benachbarten Platte landete und den Ballwechsel zunichtemachte, der dort gerade im Gange war.
»Um drei findet ein Tischtennisturnier statt«, sagte Melanie. »Vielleicht hast du es ja heute Morgen in der Durchsage gehört.«
Patrick zuckte mit den Achseln. Er erinnerte sich an die Durchsage, hatte sie aber nicht aufmerksam verfolgt, da er nach dem Aufwachen ganz verwirrt gewesen war.
»Mal sehen«, sagte er. »Vielleicht lasse ich es auf einen Versuch ankommen. Im Tischtennis war ich immer ganz gut.«
Das glaubte er zu wissen. Doch als er in seiner Erinnerung nach einem Beispiel für sein Können suchte, merkte er, dass sein Gedächtnis unverändert blockiert war. Natürlich ängstigte es ihn mittlerweile, und ihm war bewusst, dass er seinen Gedächtnisverlust nicht ewig würde verbergen können.
Viele unserer Patienten müssen sich erst an unsere Luft gewöhnen , hatte sein Therapeut, Herr von Wallenstein, bei seiner Ankunft gesagt.
Patrick klammerte sich an diese Worte und betrachtete den Ortswechsel und die völlig neuen Verhältnisse als Ursache für seine Erinnerungsblockade. Noch hatte er Hoffnung, dass sie nur vorübergehend war und nicht lange anhalten würde. Zugleich machte er sich klar, wenn sie sich als dauerhaft erweisen sollte, würde er es seinem Therapeuten gestehen und ihn um Hilfe bitten müssen. In diesem Moment kam Patrick erstmals der Gedanke, dass gerade diese Gedächtnisstörung der Grund seiner hiesigen Behandlung sein mochte. Möglicherweise litt er unter Amnesie.
Melanie sah ihn forschend an. »Alles okay? Du siehst auf einmal leichenblass aus.«
Patrick lachte übertrieben laut. »Ach, es ist nichts.«
Krankhafter Gedächtnisverlust. Der Gedanke wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf und ergänzte sich schnell zu der Überlegung, dass möglicherweise ein Amnesiekranker mit einer Schizophrenen durch diese Anstalt wanderte.
»Wollen wir weiter?«, fragte er, vornehmlich um irgendetwas zu sagen und von seiner Verunsicherung abzulenken, die ihm ins
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