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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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über seinen Körper. Sie glitten über seinen Rücken, befühlten seinen Nacken, seine Arme und Beine, liefen ihm sogar übers Gesicht und verursachten ein Kribbeln, das ihn ganz verrückt machte. Sein Magen zog sich zusammen wie in einem Anfall von Platzangst, als wäre er in eine enge Kiste gesperrt. Schweiß drang ihm aus allen Poren.
    Ihm war bewusst, wie befremdlich er sich in diesem Moment wieder vor Melanie benahm. Wie ein instinktgetriebener Zombie musste er auf sie wirken, doch er konnte bei aller Mühe nicht stehen bleiben; er vermochte nicht einmal den Kopf zu drehen, um sie anzusehen.
    »Ich hole mir kurz etwas zu trinken«, brachte er hervor, um ihr wenigstens eine Erklärung für seinen plötzlichen Marsch zu liefern. Es sollte entspannt und gelöst klingen wie eine nebensächliche Bemerkung. Aber die Worte kamen wackelig aus seinem Mund und klangen wie das Gemurmel eines Dösenden, der nur halbherzig seine Zunge koordiniert.
    Melanie machte ein besorgtes Gesicht. »Okay … ich warte hier.«
    Natürlich entging ihr nicht, dass erneut etwas Seltsames mit Patrick vorging; sie bemerkte, dass er auf eigenartige Weise die Kontrolle über Körper und Geist verloren hatte, und er selbst wusste es selbstverständlich am besten.
    Möchtest du auch etwas? , wollte er noch fragen, doch schaffte das schon gar nicht mehr. Das Kribbeln hatte sich bis ins Unerträgliche gesteigert, sein Magen zog sich abwechselnd zusammen und blähte sich wieder auf, wie kurz vor dem Ersticken. Im nächsten Moment stieß er zwei Patienten beiseite, die nebeneinander auf Hockern saßen, und schmetterte die Hände auf die Theke.
    »He, was soll das werden?«, keifte der eine.
    »Hast du sie noch alle?«, schimpfte der andere.
    Patrick beachtete sie nicht und nahm einen der beiden Barkeeper in den Blick, jenen, der sich flüchtig zu ihm gedreht hatte, als seine Hände auf das Thekenholz geknallt waren.
    »Einen Tee! Los!«, knurrte er und war entsetzt über seine Anstandslosigkeit. Patrick war fähig zur Selbstbeobachtung, sah sich allerdings mit einigem Abstand wie von außen und glaubte, einen Fremden zu betrachten, der in seinen Körper gefahren war. Patrick wusste, er war nicht er selbst, wusste, er würde sich aus eigenem Antrieb niemals so verhalten; über all das vermochte er wie von einer höheren Warte rational nachzudenken und konnte sein Verhalten dennoch nicht steuern. Stattdessen ließ er sich beim Warten auf das Niveau der anderen Patienten herab und forderte die Angestellten in grobem Ton zur Eile auf.
    »Schneller!«, rief er und mischte seine Stimme unter die restlichen. »Na, wird’s bald!«
    Patrick unterstützte das allgemeine Schimpfen so lang, bis einer der beiden Barkeeper ihm einen randvollen Becher Tee hinstellte.
    Sein rechter Sitznachbar griff zum Becher, woraufhin Patrick ihm einen vernichtenden Blick zuwarf und wie ein tollwütiger Köter die Zähne fletschte. Der Mann öffnete ängstlich den Mund und zog die Hand blitzschnell wieder zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Patrick sah wieder auf den Becher hinab, und sein Gesicht entspannte sich. Seine Augen funkelten, und seine Mundwinkel hoben sich. Sein Blick verirrte sich im betäubenden Schimmern des Tees, in dem sich die türkisfarbenen Streifen immer wieder übereinander schoben; sie überdeckten sich, umschlagen einander, ließen sich wieder los und begannen die Prozedur von vorn. Herrliche Muster formten sich in diesem Leuchten, in denen Patrick bis in alle Zeit versinken wollte. Wie vorhin seine Beine, so bewegten sich nun auch seine Hände von allein, griffen nach dem Becher und führten ihn genüsslich an die Lippen, wohlbedacht, keinen Tropfen zu verschütten. Nach dem ersten Schluck, mit dem Patrick den Inhalt bereits zur Hälfte geleert hatte, wusste er, dass ihm diesmal ein Becher nicht genügen würde. Er würde mehr brauchen, um seinen schrecklichen Durst zu stillen, weitaus mehr als bei den letzten Malen, zumindest das Doppelte, vielleicht gar das Dreifache. Schnell setzte er den Becher noch einmal an und trank ihn in einem weiteren Zug aus. Dann reichte er ihn einem der beiden Thekenbediensteten und gab ihm wortlos zu verstehen, den Becher schleunigst von Neuem zu füllen. Der junge Mann nahm den Becher mit ausdrucksloser Miene entgegen, wusch ihn rasch aus und stellte ihn unter die Maschine. Sekunden später hatte Patrick ihn wieder bis zum Rand gefüllt vor sich und lachte über seine Sitznachbarn, die sich

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