Die Heilanstalt (German Edition)
Gesicht geschrieben sein musste.
Melanie nickte. »Klar. Du musst dir unbedingt noch das Unterhaltungszentrum ansehen. Dort verbringe ich mit Abstand die meiste Zeit.«
Sie hielt ihm den Unterarm hin. Patrick sammelte sich kurz und nickte ihr dann freundlich zu – für den Augenblick fühlte er sich etwas besser, etwas beruhigter – und hakte sich bei ihr ein.
Als sie zurück im Hof waren und die Flügeltür zum Unterhaltungszentrum aufstießen, schlug ihnen eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse entgegen, bestehend aus einander überlagernden Stimmen, Gelächter und Geschrei. Patrick empfand es als Lärm, verzog das Gesicht und blieb zunächst wie zum Selbstschutz in der Tür stehen. Ein Gedränge von Patienten, schlimmer noch als im Speisesaal während des Frühstücks, füllte den Raum, sodass zunächst gar nicht auszumachen war, wie weit er sich nach vorn erstreckte.
Gleich hinter der Flügeltür gab es links einen Billardtisch, an dem sich zwei junge Männer ein ausgeglichenes Duell lieferten, das von begeisterten Zuschauern umlagert war. Gelungene Stöße wurden mit Jubel und Beifall bedacht, missglückte Versuche wurden ausgebuht und ausgelacht. Dahinter befand sich ein Airhockey-Tisch, an dem ein junges Mädchen gegen eine ältere Dame antrat. Die weiße Plastikscheibe flog kreuz und quer über den Tisch, knallte gegen die Banden, unternahm plötzliche Richtungswechsel und schepperte auf kurz oder lang in eines der beiden Tore.
Auf der rechten Seite hing entlang der Wand etwa ein Dutzend elektronischer Dartscheiben, die allesamt von drei bis fünf Leuten benutzt wurden. Die aktiven Spieler warfen konzentriert ihre Pfeile auf die Scheibe, um sie daraufhin rasch wieder aus ihr herauszuziehen und Platz für den nachfolgenden Spieler zu machen. Dabei waren Könner gleichermaßen vertreten wie Dilettanten, sodass manche mit eindrucksvoller Sicherheit ins Bullseye oder in die Zwanzig trafen, während andere Mühe hatten, überhaupt die Scheibe zu erwischen.
In einem der seltenen Augenblicke, wenn die gedrängte Anhäufung der weißen Gewänder ein wenig auseinanderstrebte und den Blick auf das erstaunlich ferne Ende des Saals freigab, sah Patrick dort zu seiner Freude – denn er mochte dieses Spiel – drei nebeneinanderliegende Bowlingbahnen. Zwar waren die Spieler von dichten Menschenmengen verdeckt, doch sah er die schweren, bunten Kugeln, die träge über die Bahnen rollten und mit einem hölzernen Poltern in die Kegel krachten, die daraufhin maschinell neu aufgestellt wurden.
In der Mitte des Saals befand sich eine große Theke. Sie war oval geformt und bot rundherum Hocker, die ausnahmslos besetzt waren. Zwei junge Männer in einheitlich weißen Hemden eilten im Thekenbereich umher und gewannen Patricks Hochachtung, indem sie die unablässig aufeinanderfolgenden Bestellungen ohne lange Wartezeiten ausführten. Hierbei waren sie allerdings in dem Vorteil, dass die Leute stets nur den allerorts vorhandenen Tee orderten, sei es, weil nichts anderes ausgeschenkt wurde, sei es, weil die Gäste nichts anderes verlangten. Patrick vermutete, dass beides zutraf. So hatten sie nichts weiter zu tun, als die leeren Becher in einem Spülbecken auszuwaschen und sie anschließend unter eine Maschine zu stellen, die das begehrte Getränk auf Knopfdruck aus mehreren Öffnungen spie.
Obwohl die jungen Herren ihrer Arbeit im Eiltempo nachgingen, hatten sie von allen Seiten die Beschimpfungen Wartender zu ertragen, denen es immer noch nicht schnell genug ging.
»Macht voran!«, zischte es aus allen Ecken.
»Wird das noch was?«, rief es hier und dort.
»Das dauert ja ewig!«, war ebenfalls zu hören.
Patrick war fassungslos über dieses unverschämte Drängen, da die beiden Männer sich augenscheinlich bereits bis zur Belastungsgrenze abplagten und eine Beschleunigung ihrer Arbeit nach menschlichem Ermessen unzumutbar, ja unmöglich war. Aber während er darüber noch den Kopf schüttelte, merkte er, dass seine Beine sich plötzlich wie von selbst in Bewegung setzten, um ihn näher an die Theke heranzutragen. Er schluckte trocken, als wäre seine Kehle versandet, leckte sich die Lippen und war im ersten Moment ahnungslos, was mit ihm vorging.
Schließlich verstand er, dass jenes Verlangen wieder über ihn gekommen war, schlimmer denn je und mit jedem Schritt in Richtung Theke noch anwachsend. Es war nicht mehr nur wie ein juckender Mückenstich, den er zu kratzen hatte; jetzt krabbelte eine Armee von Ameisen
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