Die Heilerin - Roman
Risko eingehen, selbst zu einer Mahlzeit zu werden?«
Ihr Lächeln kehrte zurück. »Hey, Hübscher, komm herein! Wir haben die schönsten Tänzerinnen in den Drei Territorien«, rief sie einem muskelbepackten Soldaten im Blau der Baseeris zu. Der stupste seine Freunde mit den Ellbogen an und winkte, kam aber nicht näher. »Nein, du solltest es besser wissen. Ich habe Kaide erst kürzlich erzählt, wie du ...«
»Aylin, suchen die noch Leute?«
»Oh nein, nicht mehr. Guten Morgen, die Herren! Kommt herein. Drei Vorstellungen am Tag und die besten Schauspielerinnen in ganz Geveg!« Ein weiteres Rudel Soldaten ging vorbei, alle in Blau, alle mit dem silbernen Fischadler an der breiten Brust. Baseeri-Soldaten säumten ständig die Straßen, aber so viele Patrouillen hatte ich seit dem Beginn der Besetzung nicht mehr erlebt.
Meine Zehen zuckten unter dem plötzlichen Bedürfnis, anderswo zu sein. »Warum sind heute all diese Soldaten hier?«
»Verlatta wird belagert.«
»Im Ernst?«
Sie nickte, und ihre herabbaumelnden Perlmuttohrringe schwangen im Rhythmus ihrer Hüften hin und her. »Gestern Abend hat ein Baseeri-Offizier unterwegs kurz bei mir angehalten. Er muss heute flussaufwärts ziehen. Hat gesagt, seine Herzoglichkeit sei hinter den Pynvium-Minen von Verlatta her.«
Selbst die Sonnenstrahlen des späten Vormittags konnten mein Schaudern nicht vertreiben. Baseer war hundert Meilen flussaufwärts im Grenzgebiet der Drei Territorien zu den Nördlichen Reichen, aber es fühlte sich an, als könnte man schon wieder den Atem des Herzogs im Nacken spüren. Er hatte bereits Sorille erobert und kontrollierte den größten Teil des guten Ackerlands, aber er hatte keine einzige Pynvium-Mine gehabt, ehe er uns besiegt hatte. Wir hatten versucht, ihn zu bekämpfen, unsere Freiheit zurückzuerlangen, aber es hatte nicht funktioniert. Hatte er erst Verlatta niedergerungen, dann würde er alle drei Länder regieren, denen sein Urgroßvater vor langer Zeit Unabhängigkeit garantiert hatte. »Erst unsere Minen, nun ihre. Man sollte meinen, der Herzog hätte langsam genug, um jeden einzelnen Baseeri zu heilen.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Er braucht es nicht für Heilungen, er braucht es für Waffen. Würde er nicht so viel Pynvium für Waffen verschwenden, dann würde er auch nicht so viel brauchen. Dieser Gierschlund! Alles seine Schuld.«
Aylin hatte recht, aber das war eher krank als ein Zeichen von Gier, wenn man mich fragt. Schick deine Soldaten in die Schlacht, und nutze ihren Schmerz, um die Pynvium-Waffen zu laden, dann ziehst du los, greifst ein anderes Volk an und stiehlst dessen Pynvium, damit du deine Leute heilen kannst; denn dein eigenes Pynvium hast du ja dafür benutzt, Waffen zu machen. Dumm. Ganz einfach dumm.
»Das sind ganz schön viele Leute«, sinnierte Aylin, während sie die Flüchtlinge betrachtete, die von der Fähre schlurften. Der Herzog hatte schon vor langer Zeit Kontrollpunkte an den Straßen und Brücken auf dem Festland eingerichtet, die man ohne ordnungsgemäßes Baseeri-Reisesiegel nicht passieren durfte. Ein solches Reisesiegel zu erhalten war nicht so schwer, wie es sich vielleicht anhört - es kostete nur alles, was man hatte. Viele Leute hatten versucht, die Siegel zu fälschen, aber die Soldaten an den Kontrollpunkten waren sehr gut darin, Fälschungen zu erkennen.
»Zu viele«, stimmte ich zu. Familien in maßgeschneiderter Kleidung, komplett mit den pluderigen Spitzenkrägen, wie sie in Verlatta so beliebt waren, schleppten sich neben Familien in Lumpen dahin. Jede einzelne Person trug einen Beutel oder einen Korb - vermutlich alles, was sie sich hatten schnappen können, ehe sie aus Verlatta geflohen waren.
Und jeder Einzelne von ihnen würde von nun an auch in Geveg nach Arbeit Ausschau halten.
An einem Häuserblock weiter unten schwankte das Schild eines Schmerzhändlers im Wind. Neckte, verhöhnte, verlockte mich. Vielleicht konnte ich es riskieren. Unter all den Flüchtlingen waren zweifellos einige, denen ich ein wenig Schmerz stibitzen konnte, und ein einziger Verkauf könnte mich womöglich mehrere Tage lang über Wasser halten. Ich musste mir nur jemanden suchen, der zerschlagen aussah, verletzt, aber nicht zu schlimm, sodass ein Schmerzlöser nicht auf Anhieb erkennen konnte, dass mein Schmerz nicht von einer eigenen Verwundung stammte. Der Umstand, dass es verbliebenen Lösern in Geveg an Ausbildung mangelte, mochte nun ein Glücksfall für mich
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