Die Heilerin
atmen. Einatmen und ganz langsam auspusten. So wie ich …« Geräuschvoll atmete Margarethas Mutter ein und dann aus.
»Ich kann nicht«, stöhnte Thilda.
»Doch, du kannst. Einatmen. Jetzt!« Gretje sprach beruhigend, aber auch bestimmt. Thilda van Holten wurde ruhiger, das Wimmern ließ nach, und sie schien sich ein wenig zu entspannen. Eine Windböe zog pfeifend durch die Ritzen, und Margaretha zuckte zusammen, dann raffte sie ihre Röcke und lief die steile Stiege hinab. In der Küche brannte ein helles Feuer, darüber hing ein rußgeschwärzter Kessel, in dem etwas kochte. Margaretha warf einen Blick hinein. Dicke Fettaugen schwammen auf der Oberfläche.
»Was ist das?«, fragte sie die Magd.
»Ich sollte doch Wasser kochen.«
»Hast du den Topf nicht ausgescheuert? Da schwimmt ja Fett.«
»Ausgescheuert? Nein. Ich habe gestern ein Huhn ausgekocht. Da muss noch ein Rest im Topf gewesen sein.« Katrinchen zuckte die Schultern.
Margaretha hatte schon früh gelernt, dass Sauberkeit wichtig war, nicht nur im Wochenbett. Ohne die Magd anzusehen, nahm sie den Kessel vom Herd, öffnete die Tür zum Hof und schüttete das Wasser aus. Eine Dampfwolke nahm ihr für einen Moment die Sicht. Dann drehte sie sich um, drückte Katrinchen den Kessel in die Hand.
»Wasch ihn aus, und zwar gründlich. Und dann nimmst du sauberes Wasser und erhitzt es. Habt ihr Bast im Haus? Ich brauch zudem einen Eimer, Laken.«
Die Haustür wurde geöffnet und jemand polterte in der Diele. Es war der junge van Holten. Er hatte bei seinen Eltern, die im Nachbarhaus wohnten, eine Kohlepfanne ausgeliehen und schwankte damit nun durch die Diele. Torkelnd stieß er gegen die Küchentür, blieb stehen und sah Margaretha mit großen Augen an.
»Wohin damit?« Er deutete auf das Kohlebecken.
»In der Küche brauchen wir es wohl nicht. Es muss nach oben.« Margaretha verdrehte die Augen und hob lauschend den Kopf. Die furchtbaren Schreie waren verstummt. Auch van Holten horchte.
»Gottegot. Ist sie …?« Doch dann hörte man wieder einen leisen Schrei. Er klang nicht mehr so verzweifelt, aber immer noch schmerzhaft. Van Holten zuckte zusammen. »Was habe ich getan? Was habe ich ihr angetan?«
»Zum Jammern ist es jetzt zu spät. Das Kohlebecken wird gebraucht. Und habt Ihr Bast?«
»Bast?«
»Es zieht wie Hechtsuppe dort oben.« Margaretha stemmte die Hände in die Hüften, so wie sie es oft bei ihrer Mutter gesehen hatte, wenn diese mit Männern sprach.
Van Holten wies mit dem Kopf zur Webstube. »Dort ist Bast. Ja, es zieht dort oben. Aber das große Bett passt nicht in das andere Zimmer, dort zieht es nicht und einen Kamin haben wir da auch.«
»Auch ein Bett?«, fragte Margaretha.
»Nun ja, ein schmales.« Er rülpste, hielt sich verschämt lächelnd die Hand vor den Mund. Die Branntweinfahne schien vor ihm im Raum zu stehen. Angewidert wandte Margaretha den Kopf ab. Sie drückte sich an van Holten vorbei, lief die Treppe empor. Vor der Tür zum großen Schlafzimmer blieb sie stehen, holte tief Luft. Sie hörte das Stöhnen der Frau, die murmelnde Stimme ihrer Mutter. Der Gedanke an den zum Platzen gespannten Leib der Frau und das viele Blut erzeugten Übelkeit in ihr. Sie drehte sich um, sah die andere Tür, öffnete sie. Wohlige Wärme schlug ihr entgegen. In diesem Moment kämpfte sich der Mond durch die Wolken und warf sein Licht in den kleinen, aber behaglichen Raum. Das Bett war in der Tat schmal, doch es wirkte frisch bezogen. Kein Wind pfiff hier, das Zimmer lag nach hinten zum Hof.
Margaretha gab sich einen Ruck und öffnete die Tür zumSchlafzimmer. Thilda lag im Bett, die Beine weit gespreizt. Das flackernde Licht der Kerzen warf gespenstische Schatten, die über die Wände tanzten. Sie atmete zusammen mit Gretje, ein Rhythmus, ein-aus, ein-aus. Hin und wieder entfuhr ihr ein Wimmern. Margaretha wusste nicht, wie sie sich bemerkbar machen sollte, und traute sich nicht, zum Bett zu gehen.
»Schön weiteratmen, Meisje«, sagte Gretje lobend und drehte sich dann zu ihrer Tochter um. »Bringst du Wasser? Wo bleibt die Kohlepfanne? Und hast du Bast? Bevor die nächste Stunde um ist, wird diese Frau krank sein, wenn sie weiter in dem Windzug liegt.«
»Nebenan ist ein warmes Zimmer. Dort zieht es nicht, und der Kamin verläuft durch den Raum, es ist warm.« Margaretha sprach die Frage nicht aus, aber sie hing deutlich in der Luft: Würde die gebärende Frau es dorthin schaffen? Oder wie würden sie sie dahin
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