Die Heimkehr Der Tochter
Anruf hatte sie mitten in der Nacht erreicht, während sie zu Fotoaufnahmen auf einer griechischen Insel gewesen war. Nach den ersten Worten ihrer Mutter hatte sie kerzengerade, mit heftigem Herzklopfen im Bett gesessen.
„Maggie, du musst nach Haus kommen."
„Mom? Bist du das?" Sie hatte nur ein Schluchzen gehört und den Hörer umklammert. „Beruhige dich, und sag mir, was los ist."
„Bitte, Maggie, du musst heimkommen! Ich bitte dich!"
„Ach Mom, du weißt, das würde ich gern. Aber das geht doch nicht. Es hat sich nichts geändert."
„Doch, hat es", hatte ihre Mutter weinend widersprochen. „Dein Vater stirbt. Oh Gott, Maggie, mein Jacob stirbt!" Diese Mitteilung war wie ein Faustschlag in die Magengrube gewesen.
Maggie biss sich auf die Unterlippe und umfasste das Lenkrad fester.
„W...was?" hatte sie gestammelt und war gegen die Kissen gesunken. „Aber ... aber vor ein paar Tagen hast du mir gesagt, er hält sich wacker, der Tumor in seiner Lunge würde kleiner. Wenn ich gewusst hätte, dass er so krank ist, wäre ich nicht um die halbe Welt geflogen."
„Ich weiß, ich weiß, Kind. Ich wusste doch, dass du diesen wichtigen Auftrag hattest, und ich wollte dir keine Sorgen machen. Und eine Weile schien die Behandlung ja auch anzuschlagen", fügte sie rasch hinzu, ehe Maggie sie tadeln konnte. „Dann verschlechterte sich sein Zustand wieder."
„Ach, Mom, warum hast du mir das nicht gesagt?"
„Ich hätte es tun sollen, ich weiß. Aber seinerzeit war Dr. Lockhart überzeugt, dass eine weitere Chemotherapie den Tumor verkleinern würde. Deshalb sah ich keinen Grund, dich unnötig zu beunruhigen. Leider hat es nicht funktioniert, Maggie", fügte Lily mit zittriger Stimme hinzu. „Diese schreckliche, bösartige Krankheit gewinnt. Sie nimmt mir meinen Jacob."
Die letzten Worte kamen schluchzend heraus, und Maggie musste ihre Tränen niederkämpfen, während sie ihrer
Mutter lauschte. Es dauerte einige Sekunden, ehe Lily sich wieder so weit in der Gewalt hatte, dass sie weitersprechen konnte.
„Die Ärzte haben ihn heimgeschickt. Im Krankenhaus können sie nichts mehr für ihn tun. Wir können es ihm nur noch so angenehm wie möglich machen. Sie geben ihm noch drei oder vier Monate, bestenfalls fünf."
„Oh Mom", flüsterte Maggie mit tränenerstickter Stimme und schloss die Augen. Der Boden schien sich unter ihr aufzutun. Ihr Vater starb? Nein, das durfte nicht sein. Das war zu früh. Er brauchte mehr Zeit!
„Du siehst also, du musst heimkommen."
„Aber ... Daddy will mich doch nicht zu Hause haben."
„Doch! Du irrst dich. Glaube mir, wenn man merkt, dass einem nicht mehr viel Zeit bleibt, sieht man vieles anders. Vertrau mir, Liebes, dein Vater möchte, dass du heimkommst."
„Hat er ... hat Daddy ausdrücklich gesagt, dass er mich sehen will?" Sie hielt den Hörer fester und wollte der Hoffnung nicht nachgeben, die in ihr zu keimen begann.
„Nun ja ... nicht in diesen Worten ..."
„Oh Mom..."
„Aber er hat es angedeutet", beharrte Lily.
„Mom, bitte...!"
„Maggie, ich bin seit fast neunundzwanzig Jahren mit deinem Vater verheiratet. Ich lese in ihm wie in einem Buch. Er möchte dich bitten heimzukehren, aber du kennst seinen starrsinnigen Stolz. Er hat einmal Position bezogen und glaubt, nicht mehr davon abrücken zu können. Doch er muss über seinen Schatten springen, Liebes." Sie wartete einen Herzschlag lang und fügte hinzu: „Und du auch."
Das ist nicht fair, dachte Maggie, legte den Kopf zurück und starrte, von Zweifeln geplagt, gegen die Decke. Das war alles so unfair.
Lily senkte die bebende Stimme und fügte eindringlich hinzu: „Es ist deine letzte Chance, Frieden mit deinem Vater zu schließen, Maggie. Wenn du es nicht tust, wirst du es immer bereuen."
Seufzend schloss Maggie die Augen und massierte mit den Fingerspitzen der freien Hand ihre Stirn. „Du machst es mir schwer, Nein zu sagen."
„Dann sag Ja. Komm heim, Maggie. Ich flehe dich an. Bitte, bitte komm nach Haus, ehe es zu spät ist!"
Lilys weinerliches Flehen und nicht zuletzt ihr eigenes hilfloses Sehnen hatten den Ausschlag gegeben.
Sie war nur eines von fünf Topmodels am Aufnahmeort gewesen. Ihr Fotograf Jean Paul Delon, zwar berüchtigt für seine Temperamentsausbrüche, war ein herausragender Künstler, der seine Fotosessions allerdings wie ein Diktator leitete. Glücklicherweise war er auch ein Softie, wenn es um die Familie ging. Mit Zustimmung der anderen Models, die sehr
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