Die heimliche Päpstin
seinen Weg zu den höheren Weihen.«
Mir war unwohl dabei, wie Marozia über ihren Ältesten bestimmte. Sie hatte den Sergius-Sohn in Verehrung für den Geliebten ihrer Mutter Giovanni genannt und dafür gesorgt, daß der damalige Erzbischof von Ravenna sein Pate wurde. Sie erzog ihn seit frühester Jugend zu einem Mann der Kirche, indem sie ihn in allem unterrichten ließ, was er als Priester und Prälat wissen und können mußte, sie ließ ihn als Ministrant des Heiligen Vaters bei den großen Messen des Jahres in der Petersbasilika oder in San Giovanni in Laterano teilnehmen, gab ihn aber im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder Konstantin nicht in ein Kloster, weil sie ihn für zu weich für die Befolgung der Regeln des heiligen Benedictus hielt.
Er durfte sich manche indulgentia wie langen Schlaf erlauben, sie herzte und küßte ihn noch, obwohl ihm dies mittlerweile unangenehm war, sie stopfte ihn mit Süßigkeiten voll, obwohl er für sein Alter weiche, fast weibliche Rundungen zeigte und dafür von beiden Alberichs verspottet wurde, er mußte zwar reiten lernen, brauchte aber keine der Fertigkeiten zu beherrschen, die für Männer aus hohen Familien selbstverständlich sind: Fechten, Ringen, Lanzenwerfen, Bogenschießen. Er lernte weder die Grundlagen der Jagd noch die des Kriegshandwerks, und für einen möglichen saccellarius verfügte er über zu geringe Rechenkenntnisse.
Als ich Marozia auf meine Bedenken ansprechen wollte, fiel sie mir ins Wort. »Hast du gemerkt, daß Papst Johannes keinen Schritt mehr ohne diesen Pietro unternimmt? Ich wette, er hat sich auf seine alten Tage den schönen Männern zugewandt und scheint seine Freude an weiblichen Reizen verloren zu haben. Früher konnte er zwar von Mama nicht lassen und hat sie wie ein unersättlicher Hengst bestiegen, aber seit sie tot ist, kann er seinen Ruf als untadeliger Nachfolger Petri pflegen – wobei ihn offensichtlich der Ruch der Sodomie nicht stört.«
Ich schaute sie kopfschüttelnd an: »Willst du ihm wirklich diese Todsünde unterstellen?«
Marozia hatte sich auf ihrem Bett niedergelassen und die Knie angezogen. Ohne zu antworten, schaute sie an mir vorbei zu dem kleinen Gartenfenster, durch das ein Amsellied hereinklang.
Wir hatten nach dem Tod ihrer Mutter zwar des öfteren über Papst Johannes und diesen Pietro sowie über ihr augenblicklich schwieriges Verhältnis zu Alberich gesprochen, aber mir war nicht recht klar, worauf sie zusteuerte: Ging es ihr lediglich um ein Amt für Giovanni, wollte sie Pietro ausschalten oder war sie wirklich daran interessiert, ihre Mutter in der Gunst des Papstes abzulösen? Versuchte sie gar, Pietro von der Seite seines Bruders zu vertreiben, um ihn um so sicherer an die eigene Seite zu ziehen?
Der Papst war dreißig Jahre älter als sie, während Pietro ihr Alter haben mußte. Mit seinem ovalen Gesicht und den eher engstehenden Augen konnte man ihn nicht wirklich schön nennen, doch wenn er seine langwallenden blonden Haare nach hinten warf, sich dabei mit der Hand in den Nacken griff, um sie zu lockern, zog er die Blicke auf sich. Trotz der typischen O-Beine eines Reiters bewegte sich sein schlanker Körper weich und fließend.
Mit meinem heutigen Wissen verstehe ich Marozias Verhältnis zu Papst Johannes besser, obschon mir dabei einiges rätselhaft bleibt; damals jedoch konnte ich mir nicht vorstellen, daß Marozia sich wirklich zu Papst Johannes hingezogen fühlte. Ihr verführerisches Lächeln und den betonten Augenaufschlag hielt ich für die normale Art und Weise, mit der sie ihre Ziele durchzusetzen versuchte. Bereits seit jungen Tagen umgurrte und umschmeichelte sie die Männer in einer Mischung aus unschuldigem Kind und verführerischer Zauberin, und fast immer erreichte sie, was sie wollte. Spürte sie allerdings einen entschiedenen Widerstand, den auch die geschicktesten weiblichen Tricks und die klügsten Überredungskünste nicht brechen konnten, wurde sie zur Furie, die von Vernichtung besessen war.
Marozia hatte meine Frage, ob sie Papst Johannes eine sodomitische Beziehung zu Pietro unterstellte, überhört. Ganz ruhig, regelrecht sehnsüchtig erklärte sie, der Kampf gegen die Sarazenen und der gemeinsame Sieg hätten sie gelehrt, daß Rom und die sie umgebenden Herzogtümer und Grafschaften, ja im Grunde ganz Italien einig sein müsse, beherrscht von einer starken Führung. »Allerdings denke ich dabei nicht an diesen aufgeplusterten Berengar, der zudem ein Langobarde
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