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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Berger
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messen in der Lage bin.
    Fünfundvierzigmal wiederholte sich der Tag meiner Geburt seitdem, ein Wunder, daß ich die Höhen und Tiefen eines stürmischen Lebens durchschreiten konnte, ohne unterzugehen in seinen fauchenden, aufheulenden Winden, in seinen wild aufschäumenden Wogen. Immer wieder stand ich am Eingang zu der Welt des Vergessens – doch unser Schöpfer ließ mich nicht eintreten. Er will, daß ich das Unglück bestehe, sogar bejahe, er will, daß ich sage: Und siehe, es war gut.
    Damals, auf unserer Reise nach Rom, mußte ich dem Bösen in seiner unverfälschten Form begegnen: Noch spüre ich die Narbe, aber seit langem schmerzt sie nicht mehr. Die Wunde, die man mir riß, verheilte, wenn auch in mir ein Gefühl abgetötet wurde, das Frauen, so weiß ich von Marozia und ihrer Mutter Theodora, bis in den Wahnsinn treiben, das sie vor Glück schreien und vor Unglück sterben lassen kann. Ich vermag keine Lust mehr zu spüren, keine Wollust in den Gliedern und auf der Haut, kein Begehren nach Verschmelzung und Vereinigung. Statt dessen vermag ich Liebe zu verströmen: Liebe, die ich meinem Sohn Alexandros schenkte und meinem Milchkind Marozia, Mariuccia, Mariechen, der Herrscherin Roms, der Königin Italiens, die an meiner Seite sitzt und, gezeichnet vom niederschmetternden Geschehen der letzten Tage, auf meine Schreibfeder schaut, ohne die griechischen Buchstaben entziffern zu können, die ich schreibe.
    Ich atme tief durch und lächle sie an, und sie lächelt zurück. Für einen Augenblick sehe ich den alten Liebreiz, sehe im tiefen Schatten des Unglücks einen Funken letzter Hoffnung aufglimmen.
    7
    So klar mir die Kaperung des Schiffes noch vor Augen steht, so unscharf werden die folgenden Jahre. Mein Leben schien zerstört, wie ein Bild, das in tausend Einzelteile zerschlagen wurde – und doch entwickelte sich ein neues Bild, ein Mosaik, mit tausend feinen Rissen.
    Irgendwann fiel die Nacht über unsere Schiffe, eine Nacht, in der ich aus einem Schmerz bestand, der wie ein halbgelöschtes Feuer glühte, immer wieder aufflackerte, um schließlich in sich zusammenzusinken. Vermutlich waren es nur die Wellen der Ohnmacht, die mich erlösten – bis tatsächlich mehrere Eimer Wasser die Glut löschten. Über mir sah ich einen schwarzbärtigen Mann aufragen, der anderen etwas befahl. Ich wurde aufgerichtet, mit Seide bedeckt, die aus den Ballen gerissen wurde, und auf ein Lager gebettet, das weich mit Stroh und Wollstoffen ausgepolstert war.
    Den nächsten Tag verbrachte ich im gedämpften Licht einer Zeltplane. Ein Mann, vielleicht ein Arzt, setzte mir eine Schnabeltasse an die Lippen, versorgte meine Wunden mit einer Salbe und gab mir etwas zu essen. Ich fiel erneut in tiefen Schlaf, aus dem mich der Mann weckte, der die unaufhörliche Schändung meines Körpers beendet hatte. Schnell begriff ich, daß es der Kapitän des Schiffes war und daß ich sein Eigentum sein sollte. Eine gewisse Erleichterung ergriff mich, die sich verstärkte, als er mich anlächelte.
    »Umm?« stieß ich als ersten Laut aus. Er mußte ihn verstehen, es war das Wort für Mutter in Arabisch, so wie ich es zu Hause gehört hatte. Der Mann lachte und sagte dann etwas, was ich nicht verstand.
    »Wo ist meine Mutter?« fragte ich flehend. »Ist sie noch am Leben?«
    Lachend zeigte er auf sich.
    Nachts mußte ich ihm zum ersten Mal zu Diensten sein. Bewundernd, so schien es mir, schob er seine Hand über meinen Körper, als sei ich eine Skulptur des Praxiteles. Ich versuchte, die Schmerzenslaute zu unterdrücken, was mir nicht gänzlich gelang. So befriedigte er sich schnell und schickte dann wieder den Arzt zu mir.
    Während der zweiten Nacht, als der Kapitän schnarchend neben mir lag, schlich ich aus unserem Zelt und wollte meine Mutter suchen. Trotz des Mondscheins stolperte ich über ein Bündel Kleiderfetzen; schon wurde ich gepackt und zurück in das Zelt gestoßen.
    Am nächsten Tag erreichten wir einen Hafen an der Flußmündung des Garigliano , wie ich später erfuhr. Dort konnte ich meine Mutter erspähen, die mit den überlebenden Ruderknechten in die Sklaverei verkauft werden sollte. Ich rief ihr etwas zu, was sie zusammenzucken und sich umdrehen ließ, winkte heftig. Ihr Gesicht war kaum wiederzuerkennen: blauschwarz, geschwollen, verdreckt. Als man sie vorwärtsstieß, bedeckte sie es mit dem Tuch, das sie über den Kopf geschlagen hatte. Wie Vieh wurden die Gefangenen zu einem staubigen Platz getrieben und

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