Die heimliche Päpstin
nächsten Morgen erschien Sergius, gehetzt und aufgeregt. Während ich bei den Kindern weilte, hörte ich laute Stimmen aus dem Empfangssaal, verstand jedoch nichts. Martinus setzte sich kurz zu mir und flüsterte: »Es brodelt in der Stadt. Der geschändete Papst wird seine verstümmelte Hand gen Himmel recken und zur Rache aufrufen.«
Ob er es tat, weiß ich nicht. Das Volk auf jeden Fall, angestachelt oder aus purer Lust an Anarchie und Aufstand, tobte durch die Via Lata, raubte dem Bäcker sein Brot und stahl dem Metzger sein Fleisch, schlug auch gegen unser Portal, das jedoch den Knüppelschlägen und Axthieben widerstand.
Wie sich bald herausstellte, hatte der Pöbel den Vatikan gestürmt, Papst Stephan in seinen Gemächern aufgestöbert, durch die Peterskirche getrieben, ihn eingekreist und mit wilden Fausthieben zu Boden gestreckt, seiner Gewänder beraubt und halbtot in einen Kerker geworfen, wo er schließlich erwürgt wurde.
In aller Deutlichkeit hatte das Erdbeben Kurie, Adel und Volk Gottes Zorn gezeigt, und dieser Zorn mußte, bevor er noch stärker die Grundfesten der Stadt erschütterte, durch die Bestrafung der spoletanischen und tuszischen Partei besänftigt werden. Ein namenloser Mönch aus einem der zahlreichen Klöster der Stadt, der besonders laut den Zorn Gottes herabbeschworen hatte, wurde von der fäusteschüttelnden Volksmenge zum Vatikan geführt und dort jubelnd auf den Stuhl Petri gesetzt: Man nannte ihn einfach nur Romanus, er segnete die Menschen, die darauf die Weinkammern des Vatikans aufbrachen und sich bis zur Sinnlosigkeit betranken. Am nächsten Morgen waren der Boden der Petrus-Basilika und die Straßen des Leo-Viertels übersät mit bleichen Weinleichen, in denen nur zögernd die Lebensgeister erwachten. Papst Romanus hatte mittrinken müssen. Sah man ihn überhaupt ein einziges Mal die Messe lesen? Auf jeden Fall war er nach vier Monaten tot.
Sein Nachfolger, den die wieder erstarkten Anhänger des Formosus, diesmal geordneter, aus den Reihen ihrer kurialen Würdenträger wählten, trug nur zwanzig Tage die Tiara, bevor auch er den düsteren Weg alles Irdischen antrat.
Unterdessen hatte sich die spoletanisch-tuszische Partei unter der Führung des Sergius neu gesammelt und trat nun mit Versprechungen, Bestechungen und Drohungen zum Kampf um das höchste Amt der Christenheit an. Es wurden Gerüchte ausgestreut, Morddrohungen ausgesprochen und vergifteter Wein sichergestellt. Noch immer schien das Beben der Erde die Menschen umzutreiben, der Einsturz der Lateranbasilika war zweifelsohne die göttliche Antwort auf das Totentribunal, und Papst Stephan hatte zu Recht büßen müssen. Doch wer hatte den Tod der beiden nachfolgenden Päpste verursacht? Waren es die Anhänger des Diaconus Sergius, die jede Schuld von sich wiesen, die kanonischen Sünden der letzten Papsterhebungen anprangerten und zugleich glänzende Denare sowie Brotrationen verteilten?
Diesmal versammelten sich die wahlberechtigten Mitglieder der Kurie in vorgesehener Ordnung im Konziliensaal. Zwei Parteien standen sich unversöhnlich und lauthals gegenüber: Diaconus Sergius als Kandidat der Römer, wie er sich bezeichnete, gegen einen Teutonen, einen benediktinischen Kardinaldiaconus aus Tibur: Zu aller Überraschung wurde Sergius' Widersacher gewählt. Er nannte sich Johannes IX. und kündigte an, im Zeichen der Reinigung des Tempels ein Exempel zu statuieren. Sergius verstand, daß er nicht länger in Rom bleiben konnte, ohne um sein Leben fürchten zu müssen, und floh ins tuszische Exil.
Theophylactus betete mit der gesamten familia lange vor dem glänzenden Goldkreuz des Belisar, bat den Allmächtigen um Gerechtigkeit, erflehte den Schutz der Verfolgten, kündigte Bußgänge eines Unwürdigen an, Stiftung neuer Klöster, ein sündenloses Leben und schlug sich, laut »mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa« rufend, an die Brust.
Das Gold glänzte ungerührt, die Edelsteine funkelten.
Theodora warf mir einen Blick zu und verdrehte die Augen, schaute dann verstohlen nach Alberich, der ihren Blick mit feinem Lächeln erwiderte, im Anschluß an das Gebet jedoch nach Spoleto aufbrach, weil, wie er verkündete, das Land die Hilfe einer starken Hand benötige.
Als er auf dem Weg dorthin den Tiber überquerte – so erfuhren wir bald darauf –, begegnete er dem jüngsten Sproß der alten Wölfin Agiltrud, dem letzten Erben der Markgrafenfamilie von Spoleto. Es kam zu einer lautstarken Auseinandersetzung,
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