Die heimliche Päpstin
von ihnen zum Markgrafen von Spoleto gewählt worden sei. Dann ist sie ja auch bald gestorben, und der Papst hat die Wahl Alberichs bestätigt.«
Marozia nickte nachdenklich. »Glaubst du«, fragte sie, »daß er auch mit meiner Mutter …?« Sie zeigte diesmal keinerlei Spuren von später Eifersucht oder verspätetem Zorn.
»Ich weiß es nicht.«
Tatsächlich habe ich nie mit Sicherheit herausgefunden, ob dieser starke junge Mann, der uns Frauen mit Leichtigkeit in die Höhe stemmen konnte, in Theodora ihre leicht zu entflammende Lust an der Liebe entzündet oder ob sie ihn gar mit Hilfe ihres Körpers angeworben hatte. So offen Theodora mir gegenüber fast immer war, in diesem Punkt hielt sie sich bedeckt.
Marozias Miene verdüsterte sich plötzlich. »Meine Mutter hat sich sicher von Alberich bespringen lassen, damit er nicht zur Gegenpartei überlief. Als ich dann heranwuchs, gab es ein wirksameres Mittel, ihn an unsere Familie zu binden. Alberich – ich kann den Namen nicht mehr hören! Hätte ich damals gewußt, daß sein Sohn einmal meine Macht, meine Träume und mein Leben zerstören wird, hätte ich auf dem Hochzeitslager nicht nur Schweineblut fließen lassen.«
Sie hatte sich abgewandt und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Ich sah ihre Brust zucken: Sie weinte. Als ich mich zu ihr begab, um ihr tröstend den Arm auf die Schultern zu legen, faltete sie die Hände, und ihre Lippen bewegten sich stumm.
Vor mir die schwarzglänzende Wand. Αταραξία , meine eingravierte Losung. Was ist mit unserer Seelenruhe – ähnelt sie nicht der Grabesruhe? Hat man uns nicht eingemauert wie einst Antigone? Selbst wenn wir mit allem versorgt sind, was wir wünschen: Abgesehen von den Wärtern sind Ratten, Wanzen, Flöhe und Läuse die einzigen Lebewesen, die uns besuchen. Wenn ich aber daran denke, daß womöglich Alexandros in Rom weilt und schließlich enttäuscht und verzweifelt aufgibt, seine Mutter zu suchen, bohrt sich die Verzweiflung wie ein Dolch in mein Herz.
Ich greife wieder nach der Feder, um mich abzulenken, ich lasse meine Seele zurückfliegen in eine Zeit, die Aufbruch und Wandel versprach.
Nachdem Sergius ins Exil gegangen war, beruhigten sich die Zustände in Rom, die fäusteschüttelnden Massen tobten nicht mehr so häufig durch die Via Lata, die Morde nahmen ab, und das Geschlecht des Theophylactus gedieh.
Während dieser Zeit erweiterte sich mein Lebenskreis. Ich war anwesend, als die Kinder das Reiten lernten, und ritt selbst wieder, was mir große Freude bereitete. Theodora nahm mich regelmäßig zu den Messen in der Petrus-Basilika mit und besprach mit mir die politische Lage in Rom und in Italien. Mir wurde erlaubt, in Begleitung des Procurators Martinus einzukaufen, und nachdem die Kinder eingeschlafen waren, hockte ich mit ihm zusammen, um mich über Rom, seine Familien, die Machtverhältnisse und die wirtschaftliche Versorgung, über Pilger, Handel und Handwerk aufklären zu lassen. Er berichtete mir auch von den anderen Zentren Italiens und ihren Herrschern, erzählte mir vom reichen Tuszien, vom Wollhandel seiner Familie. Und natürlich erfuhr ich jede Menge Klatsch über die Würdenträger des Vatikans.
Gierig sog ich alles auf, was ich erfahren konnte, denn bereits Euthymides hatte mich eins gelehrt: Wissen ist Macht. Wissen bedeutet Einfluß. Wissen kann sich sogar in Gold verwandeln.
Ich durfte schließlich dabei sein und schriftliche Notizen machen, wenn Senator Theophylactus seine politischen Weggenossen aus Spoleto und Tuszien empfing, ich sollte die Briefe schreiben, die er an Sergius und Alberich richtete. Mir wurde erlaubt, Familiendokumente zu sichten, und ich begann, wie ich es von zu Hause her kannte, Buch zu führen über die Besitztümer der Familie, die Abgaben, die Verluste durch die Plünderungen der Sarazenen, über die Schulden – und Theophylactus wie Theodora gingen die Augen auf, wie reich sie hätten sein können und wie arm sie zugleich waren.
Eines Tages begriff ich, daß ich, Aglaia, die Tochter eines der reichsten Fernhändler im byzantinischen Reich und zugleich eine geschändete und verkaufte Sklavin, die Seele eines römischen Adelsgeschlechts war, das danach strebte, die Macht in der ewigen Stadt und zugleich im Vatikan zu erobern, das aber nicht recht vorankam in seinem Streben. Es gab Augenblicke, in denen ich sogar feststellte, daß ich ihr Streben teilte – und unvermutet durchströmte mich Freude am Leben, ein
Weitere Kostenlose Bücher