Die Heiratsschwindlerin
wollen, hatte sie ihn ein Bild von sich schaffen lassen, das – wenn sie ehrlich war – nicht ganz der Wahrheit entsprach.
Wie das weitergehen sollte, wenn sie erst zusammenlebten, wusste sie nicht. Mitunter erschreckte es sie, in welch falschem Licht sie gesehen wurde, war sich sicher, als Betrügerin entlarvt zu werden, sobald er sie das erste Mal dabei ertappte, wie sie über einem Schundroman in Tränen ausbrach.
Ein anderes Mal redete sie sich ein, so verkehrt sei sein Bild von ihr gar nicht. Zwar war sie vielleicht nicht ganz die hochgeistige Frau, für die er sie hielt – aber sie konnte es sein. Sie würde es sein. Das war schlicht eine Frage der richtigen Kleidung, des einen oder anderen intelligenten Kommentars und des diskreten Schweigens in der restlichen Zeit.
Einmal, zu Anfang ihrer Beziehung, als sie in Pinnacle Hall zusammen auf Simons riesigem Doppelbett lagen, hatte Simon ihr gesagt, er habe gewusst, dass sie etwas Besonderes sei, als sie ihn nicht über seinen Vater ausfragte. »Die meisten Mädchen«, gestand er verbittert, »wollen bloß wissen, wie es ist, Harry Pinnacles Sohn zu sein. Oder sie wollen, dass ich ihnen ein Vorstellungsgespräch vermittle oder so was. Aber du … du hast ihn mit keinem Wort erwähnt.«
Er hatte sie verwundert angestarrt, und Milly hatte süß gelächelt und eine undeutliche, schläfrige Erwiderung gemurmelt. Schließlich konnte sie schlecht zugeben, dass Harry Pinnacle allein deshalb unerwähnt geblieben war, weil sie noch nie von ihm gehört hatte.
»Tja – heute Abend also Dinner bei Harry Pinnacle! Das wird bestimmt ein Spaß!« Die Stimme ihrer Mutter riss Milly aus ihren Gedanken, und sie blickte auf.
»Ja«, sagte sie. »Ich denk schon.«
»Hat er immer noch diesen wunderbaren österreichischen Küchenchef?«
»Keine Ahnung.« Milly fiel auf, dass sie dazu übergegangen war, Simons entmutigenden Ton anzuschlagen, sobald von Harry Pinnacle die Rede war. Simon hielt Gespräche über seinen Vater immer so kurz wie möglich; wenn jemand zu hartnäckig dabei blieb, wechselte er abrupt das Thema oder ging sogar fort. Schon oft war er vor seiner zukünftigen Schwiegermutter geflüchtet, wenn sie ihn drängte, Einzelheiten oder Anekdoten über den großen Mann preiszugeben. Bislang schien ihr das nie aufgefallen zu sein.
»Das wirklich Bezaubernde an Harry ist«, sinnierte Olivia, »dass er so normal ist.« Sie hatte sich gemütlich bei Milly untergehakt, und sie gingen die verschneite Straße entlang. »Und genau das sage ich auch jedem. Wenn man ihn kennenlernt, hält man ihn gar nicht für einen Multimillionär. Man glaubt nicht, dass er der Gründer einer riesigen landesweiten Kette ist. Man denkt einfach, was für ein charmanter Mann! Und mit Simon ergeht es einem ebenso.«
»Simon ist kein Multimillionär«, wandte Milly ein. »Er ist ein ganz gewöhnlicher Werbevertreter.«
»Gewöhnlich ja wohl kaum, Schatz!«
»Mummy …«
»Ich weiß, du magst es nicht, wenn ich so was sage. Aber Tatsache ist, dass Simon eines Tages reich sein wird.« Olivias Griff um Millys Arm wurde etwas fester. »Und du ebenfalls.« Milly zuckte mit den Achseln.
»Kann sein.«
»Es bringt doch nichts, etwas anderes vorzugeben. Und wenn’s mal so weit ist, dann wird es dein Leben verändern.«
»Gerade eben noch«, machte Milly sie aufmerksam, »hast du gesagt, wie normal Harry sei. Er lebt schließlich auch nicht anders, oder?«
»Alles ist relativ, Schatz.«
Sie näherten sich einigen teuren Boutiquen; als sie zu dem ersten schwach beleuchteten Schaufenster kamen, blieben beide stehen. Das Schaufenster präsentierte eine einzelne Puppe, die in auserlesene weiße Seide gekleidet war.
»Wie schön«, murmelte Milly.
»Nicht so schön wie deines«, sagte Olivia auf der Stelle. »Ich habe noch nie ein schöneres Brautkleid gesehen als deines.«
»Nein«, meinte Milly bedächtig. »Meines ist schön, nicht?«
»Könnte nicht schöner sein, Schatz.«
Sie verweilten ein bisschen vor dem Fenster, sogen den rosigen Schimmer des Ladens auf, die Wolken von Seide, Satin und Tüll, die die Wände säumten, die getrockneten Blumensträuße und winzigen bestickten Brautjungfernschuhe. Schließlich seufzte Olivia auf.
»Die Hochzeitsvorbereitungen haben Spaß gemacht. Schade, wenn alles vorbei ist.«
»Mhm«, sagte Milly. Eine kleine Pause entstand, dann sagte Olivia, als wolle sie das Thema wechseln: »Hat Isobel eigentlich augenblicklich einen Freund?«
Milly
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