Die heißen Kuesse der Revolution
Nesbitt spuckte aus, „er ist ein fanatischer Reaktionär.“
Sie zitterte erneut. „Hat man Sie schon einmal angeklagt?“
„Nein. Aber ich frage mich, ob wir wegen Aufwiegelung angeklagt werden oder sogar wegen Hochverrat.“ Er starrte sie an.
Sie starrte entsetzt zurück. Auf Hochverrat stand die Todesstrafe. „Vielleicht kann man behaupten, dass einige der Reden in unserer Versammlung Aufwiegelei gewesen sein könnten, aber Hochverrat ist doch etwas völlig anderes, Sir.“ Doch dann fiel ihr ein, was Jerome Butler gesagt hatte. Er hatte tatsächlich zu Hochverrat aufgerufen.
„Sie könnten auch einfach beschließen, uns hier drin zu vergessen, bis der Krieg vorbei.“ Adams klang bitter.
„Aber es gibt doch Gesetze“, brachte Julianne hervor. „Niemand darf ohne Anklage eingesperrt werden. Irgendwann müssen sie uns anklagen.“
„Leuten wie William Windham ist das Gesetz egal“, schrie Adams. „Ist Ihnen das nicht klar? Die wollen die Revolution mit aller Macht verhindern, ganz gleich was es kostet.“
Julianne wollte widersprechen, aber sie war zu erschöpft. Sie war zwar eine Radikale, aber dass Männer wie Pitt und Windham, Minister des Königs also, einfach das Gesetz zu ihren eigenen Zwecken beugen würden, das wollte ihr einfach nicht in den Kopf. Sie waren schließlich Engländer!
„Sie sollten eigentlich nicht hier sein, Miss Greystone“, sagte Nesbitt, der ebenfalls müde klang. Er setzte sich auf eine Pritsche.
„Keiner von uns sollte hier sein! Wir haben doch nichts Falsches gemacht“, sagte Julianne entschlossen. Aber am liebsten hätte sie geweint. Niemand wusste, wo sie war und in welcher schrecklichen Lage sie sich befand.
Das alles musste ein furchtbarer Irrtum sein! Konnte sie die Behörden nicht überzeugen, die Anklage fallen zu lassen? Wenn dieser Rob Lawton doch bloß nicht bei der Versammlung aufgetaucht wäre! Julianne wusste, wie wenig es brachte, sich einen anderen Verlauf des Geschehenen zu wünschen, doch so erschöpft und verängstigt wie sie war, konnte sie nicht mehr klar denken.
In der kleinen Zelle gab es mehrere Pritschen. Sie humpelte zu einer davon, setzte sich und zog die Schuhe aus. Die Blasen bluteten wieder. Julianne benötigte dringend Wasser, Seife und Verbandszeug. Aber so etwas würde ihr hier bestimmt keiner bringen.
Sie hob die Knie vor die Brust, schlang die Arme darum und gab sich der Verzweiflung hin. Wie hatte das alles nur passieren können? Tränen stiegen wieder in ihre Augen. Sie kämpfte dagegen an. Irgendwie musste sie aus dieser Bredouille wieder herauskommen.
Lucas würde morgen nach Hause kommen. Irgendwann würde ihm klar werden, dass sie verschwunden war. Er würde London auf den Kopf stellen, um sie zu finden.
Aber konnte er überhaupt herausbekommen, wohin man sie gebracht hatte? Hatte vielleicht ein Nachbar beobachtet, wie man sie mitten in der Nacht in Fesseln aus dem Haus führte? Julianne versuchte sich daran zu erinnern, was genau passiert war, als man sie zu der wartenden Kutsche führte. Sie erinnerte sich nur noch an den Schock und die fassungslose Panik, alles andere war verschwommen. Sie konnte nur beten, dass jemand alles gesehen hatte, aber darauf zählen konnte sie nicht.
Würde Lucas vielleicht im Haus Hinweise darauf finden, was mit ihr geschehen war? Aber selbst wenn er sie fand, wie sollte er sie hier herausholen? Vor Hunderten von Jahren war der Name Greystone vornehm und einflussreich gewesen. Heute aber war die Familie höchstens noch respektabel. Lucas hatte weder Macht noch Mittel, ihre Freilassung zu erwirken.
Ihr Onkel Sebastian Warlock allerdings verfügte über großen Einfluss. Aber besaß er auch Macht? Bestimmt würde er ihr seine Hilfe nicht verweigern, auch wenn er sie kaum kannte. Amelia hatte doch gesagt, dass er und Lucas sich recht nahestanden?
Julianne wiegte sich hin und her. Ihr war übel. Was sollte sie nur tun? Wenn wenigstens die Kopfschmerzen verschwinden würden, wenn wenigstens die Angst nachlassen würde, wenn sie endlich wieder klar denken könnte.
Macht!
Plötzlich riss Julianne die Augen auf. Aber sie sah weder ihre Zelle noch die Zelle gegenüber. Sie sah Dominic Paget vor sich.
Du hast mir das Leben gerettet. Ich schulde dir viel. Wenn du jemals etwas brauchen solltest, Julianne, brauchst du mir nur eine Nachricht zu schicken.
Dominic würde ihr helfen. Trotz allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, glaubte sie ganz fest daran.
Julianne stand auf und lief
Weitere Kostenlose Bücher