Die heißen Kuesse der Revolution
schielten die Männer anzüglich nach ihr.
Ihr Herz zog sich zusammen. „Was machen Sie mit mir?“, fragte sie.
Der Wachmann riss an ihrem Arm, antwortete aber nicht. Der Offizier, der sie vor einer Stunde verhaftet hatte, wollte ihre Fragen auch nicht beantworten. Man hatte sie in eine Kutsche verfrachtet und gesagt, sie solle den Mund halten. Sie hatte nach den Vorwürfen gefragt, um Beweise und um einen Anwalt gebeten, aber die Männer hatten sie einfach ignoriert. Erschöpft war sie in der Ecke der Kutsche zusammengesunken. Sie war zu verängstigt, um zu weinen. Die Angst lähmte ihre Brust.
„Zelle sechzehn, rein mit Ihnen.“
Julianne bemerkte erleichtert, dass die Zelle leer war. Zumindest sperrte man sie nicht mit anderen Gefangenen zusammen, die alle Männer zu sein schienen. In der Zelle gegenüber saßen fünf Männer. Sie starrten Julianne anzüglich an. Julianne sah weg.
„Na los“, brummte der Wachmann grimmig. Er öffnete die Zellentür, entfernte die Fesseln und schob Julianne hinein.
Julianne stolperte in die Zelle und klammerte sich an die Gitterstäbe. „Wann werde ich angeklagt? Wann kann ich mit einem Anwalt sprechen?“ Wenn sie nur Tom eine Nachricht zukommen lassen könnte, er würde ihr sicher helfen.
Die Zellentür wurde zugeworfen. Der Schlüssel im Schloss klickte laut und bedrohlich. Der Wachmann sah Julianne gar nicht mehr an, sondern ging davon. Endlich stiegen ihr die Tränen in die Augen.
Kein Mensch wusste, wo sie war. Vielleicht musste sie Wochen, Monate oder sogar Jahre in dieser Zelle verbringen, bevor man sie vor Gericht stellte. Sie hatte viele entsetzliche Geschichten darüber gehört, was mit Gefangenen passierte. Sie begann, unkontrolliert zu zucken. Sie konnte nicht richtig atmen.
„Miss Greystone?“
Die Stimme kam ihr bekannt vor. In der Zelle gegenüber stand George Nesbitt, und auch die anderen vier Männer hatte sie auf der Versammlung gesehen. Julianne atmete erleichtert auf. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung! Wenigstens war sie nicht allein!
„Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss Greystone?“, fragte er.
Er hatte mehrere Blutergüsse im Gesicht und ein blaues Auge. „Und wie steht es mit Ihnen?“, japste sie.
„Ich werde es überleben, sofern sie uns nur wegen Aufwiegelung anklagen.“
Julianne klammerte sich so fest an die Gitterstäbe, dass ihre Finger schmerzten. Sie lockerte den Griff. Sie verstand nicht, was er sagte. Aber sie war erschöpft und am Ende ihrer Kräfte. „Was wollen Sie damit sagen, Mr Nesbitt?“
„Ich will sagen, dass ich seit Monaten Gerüchte höre. Es ist gar nicht Pitt, der dahintersteckt, sondern William Windham.“ Der Kriegsminister war bekannt dafür, ein kaltherziger Kriegstreiber zu sein. „Das Aufruhrbüro war seine Idee. Sie wollen Aufwiegelung bekämpfen, aber in Wahrheit geht es nur darum, Radikale wie uns wegzusperren.“
Julianne schluckte schwer. Im Mai hatte der König mit einer Proklamation jede Art von Aufwiegelung für ungesetzlich erklärt. Und ein königliches Edikt besaß Gesetzeskraft. Aufwiegelung konnte alles Mögliche bedeuten. Jede politische Äußerung, die nicht der Regierungsmeinung entsprach, konnte so interpretiert werden. „Aber wir sind doch nicht der Aufwiegelung schuldig, Mr Nesbitt. England ist ein Rechtsstaat. Unsere Regierung kann doch nicht die eigenen Bürger verfolgen, schon gar nicht fälschlich anklagen.“
„Und warum sind wir dann hier drin?“
„Gesetze werden dauernd ignoriert, besonders in Kriegszeiten“, sagte einer von Nesbitts Zellengenossen. Er war ein kleiner, dürrer Bursche, der sich als Paul Adams vorstellte.
Julianne schloss die Augen. Ihr Magen verkrampfte sich. Sie musste an den Anführer der Reeves-Bande denken, der ihre friedliche Versammlung absichtlich überfallen hatte. Als seine Leute die Versammlungsteilnehmer zusammenschlugen, hatte er nicht eingegriffen. Sie hatte gesehen, wie er die Anwesenheitsliste an sich genommen hatte. Arbeitete er im Geheimen für das Aufruhrbüro? Oder hatte er aus eigenem Antrieb beschlossen, dem Aufruhrbüro die Liste zu übergeben?
Konnte man sie wirklich wegen Aufruhr anklagen oder sogar schuldig sprechen?
Sie fröstelte. Plötzlich war ihr eiskalt. Julianne trug nur ein Sommerkleid, und das war schmutzig und blutbefleckt. Sie hatte nicht daran gedacht zu fragen, ob sie etwas Wärmeres mitnehmen dürfte. Konnte Adams recht haben? „Wissen Sie, wer der Anführer von diesen Leuten war?“
„Rob Lawton“,
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