Die heißen Kuesse der Revolution
helfen.“
„Aber Bedford ist ein Tory.“
Sie starrte grimmig in den Gang.
Die Zeit verging quälend langsam. Julianne wusste nicht, ob fünf Minuten vergangen waren oder fünfzig, aber irgendwann kam der andere Wachmann zurück.
„Was ist?“, rief sie.
„Der Wachtmeister ist noch nicht da.“
„Dann gehen Sie zurück und warten Sie auf ihn!“
Der Wachmann hob die Schultern, als ginge ihn das alles gar nichts an, und marschierte davon.
Julianne lief in ihrer Zelle auf und ab. Dieser Wachmann würde doch bestimmt dem Wachtmeister Bescheid sagen? Doch der Morgen und der Nachmittag vergingen, ohne dass sich der Wachtmeister blicken ließ. Andere Wachen brachten das Mittagessen. Sie scherten sich nicht um Juliannes Bitte, den Wachtmeister zu holen. Irgendwann schlief Julianne ein. Als sie wieder erwachte, war es dunkel.
Noch ein paar Stunden, dann wäre sie einen ganzen Tag lang eingekerkert. Der Wachtmeister war sicher längst zu Hause und saß mit Frau und Kindern in einer gemütlichen Wohnstube.
„Sie haben das Abendessen verpasst“, sagte Nesbitt.
Julianne versuchte zu lächeln, schaffte es aber nicht. Sie hatte keinen Hunger. Ihr Magen schmerzte vor Angst. Wieder ging sie auf und ab.
Wie oft hatte Lucas sie angefleht, mit ihren Äußerungen vorsichtig zu sein? Wie oft hatte er ihr verboten, radikale Zusammenkünfte aufzusuchen? Er hatte sie nur vor sich selbst schützen wollen und er hatte vollkommen recht gehabt. Es war inzwischen viel zu gefährlich geworden, ihre Ansichten offen zu äußern. Aber sie hatte ja nicht hören wollen.
War Lucas wieder zurück in London? Befand er sich in diesem Moment im Haus? Machte er sich Sorgen um sie? Fragte er die Nachbarn aus? Selbst wenn jemand gesehen haben sollte, wie sie mit der Kutsche weggebracht wurde, würde Lucas keine Ahnung haben, wohin man sie gebracht hatte.
Vielleicht würde er sich hilfesuchend an Dominic Paget wenden.
Plötzlich wurde ihr ganz schwindelig. Julianne ging zu der Pritsche und legte sich hin. Sie lag einfach nur da und kämpfte gegen ihre Erschöpfung an. Vor Verzweiflung rollte sie sich zusammen, schloss die Augen und dachte an ihr behagliches Leben in Greystone, an ihre leidenschaftliche Affäre und an die Schlägerei bei der Versammlung. Als sie endlich Schlaf fand, wurde es schon bald wieder hell.
Als sie erwachte, hörte sie um sich herum lebhafte Gespräche. Der Karren mit dem Frühstück knirschte abermals den Gang entlang. Julianne richtete sich benommen auf.
Sie war immer noch im Tower.
Es waren wieder dieselben beiden Wachmänner wie gestern Morgen. Julianne stand auf und fühlte sich plötzlich ganz benommen. Sie setzte sich, bis der Schwindel verflog.
Dann erhob sie sich langsam und trat ans Gitter. Der Wachmann, mit dem sie gestern gesprochen hatte, sah sie an. „Der Wachtmeister ist gestern nicht gekommen. Als ich gestern Feierabend hatte, war er immer noch nicht da.“
„Aber der Earl of Bedford muss erfahren, dass ich hier bin.“ Diesmal sprach sie ganz ruhig. Sie besaß nicht mehr genug Energie, um herumzuschreien oder Forderungen zu stellen. „Sie werden eine Belohnung bekommen.“
„Ich sehe mal, ob ich mit ihm reden kann, wenn ich hier fertig bin.“ Er hielt eine Schüssel vor ihre Essensklappe und schob sie durch.
Julianne nahm die Schüssel. Sie ekelte sich nicht mehr, sondern setzte sich auf die Pritsche und aß das Zeug mit den Fingern. Sie bemühte sich, nicht auf die schwarzen Flecken zu achten, die darin zu erkennen waren.
Dann benutzte sie so diskret, wie es nur ging, den Eimer, der in dieser Zelle nur einem Zweck diente. Sie konnte nur beten, dass der Wachmann tatsächlich mit dem Wachtmeister sprach. Die Zeit zog sich quälend lang dahin. Immer wieder blickte Julianne zum Ende des Gangs, immer in der Angst, noch eine Ewigkeit hier im Tower verbringen zu müssen.
Endlich wurde die Tür geöffnet, und ein Mann schritt den Gang entlang. Er war edel gekleidet und trug eine kupferfarbene Weste, einen braunen Samtmantel, helle Kniehosen und Strümpfe und sogar eine gepuderte Perücke.
Sie erhob sich langsam. „Wachtmeister.“
Er musterte sie skeptisch von oben bis unten.
Julianne wusste, dass sie inzwischen wie eine Obdachlose aus dem East End wirken musste. „Ich bin Julianne Greystone. Mein Bruder ist Lucas Greystone, Sebastian Warlock ist mein Onkel. Und ich bin eine gute Freundin des Earl of Bedford. Bitte teilen Sie ihm mit, dass ich hier bin.“
Der Wachtmeister starrte sie
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