Die heißen Kuesse der Revolution
gewesen.
„Die Feder liegt doch da, direkt auf dem Tisch.“
Sein Gesicht war undurchdringlich, doch sie wusste, er hatte sie in Verdacht, in seinen privaten Sachen herumgeschnüffelt zu haben.
„Die Spitze ist abgebrochen.“
Er sah die Feder beiläufig an. „Ja, das sehe ich.“
Sie starrten einander an. Wenn sie ihn nach seiner Verlobten fragen würde, wüsste er, dass sie seine Briefe gelesen hatte, aber sie konnte die Frage kaum zurückhalten.
„Hast du hinter mir her spioniert?“, fragte er schließlich.
„Nein!“
Eine entsetzlich lange Pause folgte. „Ich dachte, du wolltest vielleicht frühstücken. Unglücklicherweise kann ich dir keine Gesellschaft leisten. Das Frühstück wartet in deinem Zimmer auf dich.“
Sie schob sich weg von dem Tisch. Dominic kam nicht näher. Er unternahm keinen Versuch, sie zu umarmen. Er begrüßte sie nicht einmal oder neckte sie lüstern mit der vergangenen leidenschaftlichen Nacht. Er sah sie einfach nur eindringlich an. In seinen Augen funkelte Misstrauen.
Julianne wünschte, sie hätte sich nie an diesen Tisch gesetzt und nie die Briefe gesehen.
Julianne war sehr überrascht, im Salon auf Sebastian Warlock zu treffen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihren Onkel zuletzt gesehen hatte. Vermutlich war sie noch ein Kind gewesen. Amelia hatte gesagt, dass er und Lucas sich sehr nahestanden. Vermutlich hatte Lucas erwähnt, dass sie sich nun in Bedford House aufhielt. Wahrscheinlich war es ein Glück, dass sie nun die Gelegenheit bekam, den Bruder ihrer Mutter näher kennenzulernen. Aber als sie auf ihn zuging, dachte sie daran, dass er nie nach Greystone kam, um Momma zu besuchen.
Sebastian Warlock stand in dem kleinen blauen Salon neben einem Sofa. Er war ein gut aussehender, respekteinflößender Mann, der sich den Modetrends ganz offenbar versperrte, denn er trug keine Perücke zu seinem schlichten braunen Rock. Im Augenblick schien er ungeduldig zu sein.
Sebastian Warlock musterte Julianne eindringlich von oben bis unten, was sie verunsicherte.
Endlich lächelte er sie an, ging auf sie zu und ergriff ihre Hand. „Wir haben uns sehr lange nicht gesehen, Julianne.“ Er verbeugte sich über ihrer Hand und ließ sie wieder los.
„Ja, sehr lange.“ Sie war merkwürdig verkrampft, doch sie dachte daran, dass dieser Mann Lucas in seinem Haus wohnen ließ und dass Lucas ihn sehr mochte. „Ihr Besuch ist eine freudige Überraschung.“
Sebastian Warlock musterte seine Nichte noch einen Augenblick. „Du bist die Überraschung, meine Liebe. Du bist eine sehr schöne Frau geworden. Du erinnerst mich an deine Mutter.“
Julianne verkrampfte sich noch mehr. Sie wusste, dass ihre Mutter in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen war. „Du schmeichelst mir.“
„Ich habe nur darauf hingewiesen, was für eine Augenweide du doch bist.“ Er zog anerkennend die Augenbrauen nach oben.
„Du weißt ja sicher, dass Momma ein wenig verwirrt ist.“
„Ah, ja, natürlich weiß ich das! Und ich weiß auch, dass du eine Intellektuelle geworden bist.“
Julianne wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Wollte er ihr Komplimente machen? Was hatte Lucas alles über sie erzählt? Außer im engsten Familienkreis würde er sicher niemandem etwas von ihren radikalen Ansichten verraten. „Mich interessieren nun einmal sehr viele Dinge. Ich lese viel.“
Sebastian Warlocks Gesicht blieb ausdruckslos. „Ja, ich glaube, Lucas erwähnte etwas in der Richtung.“
Julianne fühlte sich auf einmal unbehaglich und beinahe bedroht, obwohl es ganz gewiss absurd war. Wieso aber sprach Lucas über sie? Hatte er auch von Amelia gesprochen? „Meine Schwester liest ebenfalls eifrig, allerdings zieht sie ihre Romane den politischen Journalen vor.“
„Ich bin nicht wegen Amelia gekommen.“
„Dein Besuch ist sehr freundlich“, sagte sie beklommen. „Ich würde dir gern eine Erfrischung anbieten, aber ich bin hier selbst nur Gast.“
„Ich brauche keine Erfrischung, ich bin deinetwegen hier. Wie geht es dir, nach dem, was du durchmachen musstest?“
Julianne war irritiert. Machte es ihm Spaß, sie in Verwirrung zu stürzen? Was wollte er hier? Sie ahnte langsam, dass dies kein Höflichkeitsbesuch war. „Hat Lucas erzählt, dass ich krank war?“
„Lucas macht sich sehr große Sorgen um dich.“
Angst stieg in ihr auf.
„Und ich mache mir ebenfalls Sorgen.“ Sebastian Warlock deutete auf das Sofa.
Julianne setzte sich. Sie fürchtete das Schlimmste. Lucas konnte
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