Die heißen Kuesse der Revolution
kämpfen für dieselbe große Sache.“
Er schwieg einen Moment. „Ja, wir beide schätzen die Freiheit über alles.“
„Ich bewundere dich sehr, und ich respektiere dich.“ Endlich konnte sie ihm in die Augen sehen. Sein Blick blieb entschlossen.
„Ich bin geschmeichelt. Aber du setzt deinen guten Ruf aufs Spiel.“
„Mein guter Ruf ist mir gleich“, sagte Julianne. Sie meinte es wirklich ernst.
„Alle Frauen sorgen sich um ihren guten Ruf.“
Sie lächelte. „Mit einer Ausnahme.“
Seine Augen blitzten. „Um Himmels willen, aus welchem Grund ist dir denn dein guter Ruf nicht wichtig?“
Es machte ihr nichts aus, ihm ihr Innerstes zu offenbaren. „Ich bin nicht wie die anderen Frauen. Und das liegt nicht nur daran, dass ich eine Radikale bin. Vor dem Krieg, als die Nachbarn mich noch empfangen wollten, hat man mich hinter meinem Rücken verschroben genannt oder sogar als Mannweib bezeichnet. Und das nur, weil ich recht belesen bin und weil ich eine eigene Meinung habe. Als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war, hat eine der Nachbarinnen zu Momma gesagt, ich würde radikale Ansichten äußern und ob Momma nichts dagegen unternehmen wolle.“ Julianne lächelte bei der Erinnerung, aber damals war sie wegen der Kritik von Lady Delaware sehr verletzt gewesen. „Die Dame teilte meiner Mutter mit, dass ich nie einen Gatten finden werde, wenn Momma nicht dafür sorgte, dass ich so verstumme, wie es sich gehört.“ Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Sie zog ratlos die Schultern nach oben. „Ich weiß auch nicht, warum ich so anders bin als die anderen Frauen. Ich weiß nicht, wieso mir feine Stoffe, Perlen und gut aussehende Bewerber nichts bedeuten, aber es ist nun einmal so.“
Charles lächelte nachdenklich. „Ich kann mir wirklich kaum vorstellen, wie du dich nach einem seidenen Ballkleid verzehrst, obwohl du darin sicher phantastisch aussehen würdest.“
Juliannes Wangen erröteten. „Wie du siehst, habe ich für Ballkleider keine Verwendung.“
„Du bist noch nie auf einem Ball gewesen?“
„Nein. Das wäre ja auch ziemlich scheinheilig, findest du nicht?“ Nur in ihren geheimsten Träumen stellte sie sich manchmal vor, wie wunderbar es sein musste, auf einem Ball im Mittelpunkt zu stehen. Es konnte kaum verwerflich sein, einmal auf einen Ball zu gehen, solange sie weiter für die Rechte gewöhnlicher Menschen eintrat, aber eine solche Gelegenheit würde sich sowieso nie ergeben.
„Kein Mensch könnte dir jemals Scheinheiligkeit vorwerfen.“
Sie lächelte. „Vielen Dank.“
Er dachte einen Augenblick nach. „Dass eure Nachbarn deinen Charakter nicht zu schätzen wissen, finde ich sehr bedauerlich.“
Sie zögerte. „Viele Türen, die mir früher offen standen, sind nun verschlossen.“ Obwohl sie es nicht zugeben wollte, stimmte sie diese Tatsache traurig, mitunter verletzte es sie sogar, denn sie kannte die ganze Gemeinde so genau. Aber sie konnte nun einmal nicht so tun, als sei sie jemand ganz anderes.
„Ich stelle es mir nicht leicht vor, eine Geächtete zu sein“, sagte er sanft und berührte ihre Wange.
„Nun, eine Geächtete bin ich nicht!“ Sie seufzte. „Manche in der Gemeinde sind hasserfüllter als andere. Diejenigen, die sich mir gegenüber am gröbsten verhalten, fürchten sich am stärksten vor den Veränderungen in Frankreich. Ich kann es nachvollziehen, deshalb hasse ich sie nicht.“
„Nein, du würdest niemals einen anderen Menschen mit Hass verfolgen, nicht einmal deine politischen Feinde.“
Sie neigte den Kopf. „Du kennst mich inzwischen recht gut.“
„Das glaube ich auch.“ Er berührte noch einmal ihre Wange. „Aber meine eigentliche Frage hast du noch immer nicht beantwortet. Warum ich?“
Sie verstummte. Ihr Herz pochte. Was sollte sie sagen?
„Warum ich?“, wiederholte er entschlossen.
„Weil du mir sehr viel bedeutest, Charles“, sagte sie zittrig. Er schien sich aufrechter hinzusetzen und musterte sie scharf. „So sehr, dass ich bei dir sein möchte, wie immer auch die Umstände sein mögen. Aber das weißt du doch.“
„Wenn ich etwas an dir bewundere, dann ist das deine Aufrichtigkeit“, sagte er.
Sie hätte lieber ein anderes Kompliment gehört.
„Du weißt genau, wie sehr ich dich begehrt habe“, fuhr er fort, „seit ich aus diesem Fieber erwacht bin.“
„Wenn ich ehrlich bin, wusste ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht, auch wenn du sofort mit mir geflirtet hast.“ Sie lächelte bei der Erinnerung
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