Die heißen Kuesse der Revolution
als auch ein Waffenlager sowie Schutzräume für königliche Schätze. Der Wachtmeister hatte viele verschiedene Verantwortlichkeiten, doch keine davon hatte mit Dominic zu tun. „Hat er gesagt, warum er mich zu sprechen wünscht?“
„Er sagte, er würde eine Nachricht von einem seiner Gefangenen überbringen.“
Dominic konnte sich nicht vorstellen, dass er jemanden kannte, der gegenwärtig im Tower eingekerkert war. Zwar wurden dort oft auch hochstehende Personen aus irgendwelchen politischen Gründen eingesperrt, aber er war so lange weg gewesen, dass ihm kein bekannter Name einfiel. Vielleicht gab es einen Bekannten von früher, der nun dort einsaß. Er merkte, dass auch Catherine ihnen folgte, und blickte fragend über seine Schulter. „Ist da jemand eingesperrt worden, den wir kennen?“
„Nicht dass ich wüsste“, antwortete sie.
In diesen Kriegszeiten wusste niemand mehr, wer alles ein Staatsfeind sein mochte, dachte er. Aber jene, die gegen den Krieg und für die Französische Republik waren, hielten ihre Ansichten meist geheim.
Plötzlich sah er Julianne vor sich.
Julianne sympathisierte ganz offen mit den Jakobinern.
Ihm war, als würde sein Herz stehen bleiben. Doch er schob seine Befürchtungen beiseite. Julianne war in Cornwall. Kein Mensch kümmerte sich um ihre Friends of the People . Und außer ihm selbst und Tom Treyton wusste auch niemand, dass die Pariser Jakobiner sie gebeten hatten, eine Emigrantenfamilie in Cornwall aufzuspüren. In London konnte niemand wissen, dass sie überhaupt existierte.
Als er die große Halle mit den hohen Decken betrat, hatte er sich wieder beruhigt. Der Wachtmeister drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an. Dominic hatte den Mann noch nie gesehen. Er war korpulent und durchaus würdevoll und verbeugte sich. „Mylord, mein Name ist Edward Thompson. Ich bitte vielmals um Verzeihung, Sie zu dieser Stunde zu stören, aber eine meiner Gefangenen hat mich angefleht, Ihnen eine Botschaft zu überbringen. Ich weiß, so etwas ist äußerst ungewöhnlich, aber sie hat darauf bestanden. Ich kann nur beten, dass hier kein Betrug vorliegt und ich nicht das Opfer einer Verschwörung bin.“
Sie hat drauf bestanden.
Dominic gelang es, unbeteiligt zu wirken. „Um wen handelt es sich?“
„Eine Miss Julianne Greystone, Mylord. Sie bestand darauf, dass ich Sie persönlich davon in Kenntnis setze, dass sie im Tower eingesperrt ist. Ich bete, dass ich damit keinen schwerwiegenden Fehler begangen habe.“
Julianne saß im Tower.
In ihm stieg der Zorn auf. „Bringen Sie mich bitte sofort zu Miss Greystone.“
Dominic musste kommen, um sie hier herauszuholen.
Sie betete, dass er ein Mann war, der sein Wort hielt.
Julianne hockte auf ihrer Pritsche. Sie hatte die Arme um ihre Knie geschlungen, und blickte durch das Gitter den Gang entlang. Die Tür an dessen Ende war zu weit weg, um sie sehen zu können. Aber sie wusste, dass dort eine Tür war und durch die musste Dominic kommen. Er würde ganz bestimmt kommen. Oder nicht?
Sie meinte, am Ende des Gangs eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Sie wollte sich keine unnötigen Hoffnungen machen, doch dann konnte sie hören, wie die schwere, eiserne Tür geschlossen wurde. Schritte näherten sich.
Bitte, lass es Dominic sein , flehte sie.
Die Schritte wurden lauter.
Julianne hatte solche Angst, dass es doch wieder nur die Wachen sein würden. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie kaum noch Luft bekam.
Doch dann sah sie Dominics Schatten.
Dominic bemerkte Julianne im selben Augenblick. Ihre Blicke trafen sich. Er blieb stehen und riss entsetzt die Augen auf.
Julianne erhob sich langsam. Sie zitterte und wurde beinahe ohnmächtig vor Erschöpfung und Erleichterung. Sie konnte kaum fassen, dass sie ihn jemals für einen schlichten Offizier gehalten hatte. Doch jetzt, in seinen eigenen Kleidern, verkörperte er Macht, Reichtum und Autorität. Mit seiner silberblauen Weste, dem marineblauen Samtmantel, den weißen Kniehosen und Strümpfen sowie den schwarzen Schnallenschuhen sah er aus wie ein wahrer Edelmann. Auf dem Kopf trug er eine elegante Perücke sowie einen schwarzen Dreispitz und an den Händen glitzerten mehrere Ringe.
Dominic musterte ihre fleckigen, blutbedeckten Röcke. Dann wandte er sich um. „Sie lassen sie sofort frei.“ Seine Stimme klang bedrohlich. Niemand würde es wagen, sich ihm zu widersetzen.
„Jawohl, Mylord.“ Der Wachtmeister winkte einem Wachmann, der sofort mit dem Schlüssel
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