Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Stimme spuckte in die Donau und stand in einer einzigen fließenden Bewegung auf.
»Lass das meine Sorge sein. Wir erwischen beide, die Maus und die fette Ratte.«
JakobKuisl erwachte vom Knurren seines eigenen Magens, es war so laut wie das eines Bären. Im gleichen Augenblick überwältigte ihn ein grenzenloses Hungergefühl.
Gut , dachte er. Wenn ich Hunger habe, bin ich wenigstens noch nicht tot.
Er öffnete die Augen und blickte in die Dunkelheit. Es war Nacht, neben seinem Bett stand eine Truhe, auf der eine Kerze aus Bienenwachs flackerte. Daneben hatte eine gute Seele einen Krug Wein, einen Teller Suppe und einen Laib Brot gestellt. Vage erinnerte sich Jakob Kuisl, dass seine eigene Tochter ihn erst vor kurzem wie einen Säugling gefüttert hatte. Eine Welle der Erleichterung ging durch seinen Körper. Offenbar hatte der dritte Fragherr Magdalena doch nicht in seine Gewalt gebracht! Was war noch mal geschehen? Sie waren gemeinsam durch die Straßen Regensburgs geflohen und hatten im Bischofshof Unterschlupf gefunden. Der junge Simon hatte vom Kirchenasyl gesprochen, kurz darauf war Kuisl wieder ohnmächtig geworden. In den darauffolgenden kurzen Wachzeiten hatte er Magdalena mit brüchiger Stimme von den Inschriften im Kerker, dem dritten Fragherren und seiner Flucht aus dem Rathausverlies erzählt.
Und dann war da noch etwas anderes gewesen: Er glaubte sich zu erinnern, dass sich irgendwann in dieser Nacht ein Mann über sein Bett gebeugt hatte. Der Fremde, dessen Gesicht im Dunkeln geblieben war, war mit dem Finger über die Kehle des Henkers gefahren und hatte dabei ein einziges Wort geflüstert.
Weidenfeld …
Jakob Kuisl blinzelte kurz, als ein Schauder durch seinen Körper lief. Die Einbildung war so stark gewesen, dass er den Mann sogar hatte riechen können. Kuisl hatte eine Hand auf seinem verschwitzten Hemd gespürt. Offenbarholten ihn auch hier die Alpträume ein. Doch zurzeit wurden sie wenigstens teilweise verdrängt von Hunger und Durst.
Gerade wollte er sich aufrichten und nach dem Laib Brot greifen, als er einen Riemen um seine Brust spürte. Erstaunt blickte Kuisl an sich herunter und entdeckte weitere Lederriemen, mit denen seine Arme und Beine ans Bett gefesselt waren. Der Henker fluchte leise. Offenbar hatten ihn die Wachen des Bischofs in eine Kammer gesperrt und dort festgebunden! Panisch zerrte er an den Riemen, doch sie ließen sich auch nicht das kleinste Stückchen dehnen. Nachdem er sich einige Minuten abgemüht hatte, stand ihm der Schweiß in dicken Perlen auf der Stirn, sein Durst und sein Hunger wurden immer größer. Sollte er um Hilfe rufen? Die Wachen bitten, wenigstens für kurze Zeit die Fesseln zu lösen? Diesen Gefallen wollte er ihnen nicht tun. Womöglich ließen sie ihn dann erneut von seiner eigenen Tochter füttern, wie einen zahnlosen Greis auf dem Sterbebett. Schon die Vorstellung daran ließ Jakob Kuisl schaudern. Lieber verdurstete er, als sich noch einmal eine solche Blöße zu geben.
Also rüttelte er weiter an den Riemen, bewegte sich wild hin und her, bis er plötzlich spürte, dass sich zumindest die linke Fußfessel ein wenig lockerte. Mechanisch schob der Henker die Beine vor und zurück, bis er endlich erst aus der rechten und dann aus der linken Fußschlaufe schlüpfen konnte. Jetzt war er wenigstens unten herum frei, doch die Riemen um Brust und Arme saßen noch immer wie angeschmiedet. Jakob Kuisl warf sich so heftig zur Seite, dass das Bett schließlich krachend umkippte und ihn unter sich begrub.
Mit angehaltenem Atem blieb er am Boden liegen und lauschte.
Hattendie Wachen etwas bemerkt? Doch alles schien ruhig zu bleiben. Wahrscheinlich schliefen die Büttel in einem anderen Trakt des Bischofshofs und gingen davon aus, dass er noch zu geschwächt war, um sich zu befreien.
Nach einigen Minuten des Wartens versuchte sich Jakob Kuisl trotz des auf seinen Rücken geschnallten Betts aufzurichten. Mühsam sah er sich vom Boden aus um. Er brauchte eine scharfe Stelle, an der er die Riemen reiben konnte! Doch der Raum, in den sie ihn gesperrt hatten, war bis auf das Bett und die Truhe leer. Also musste er woanders suchen. Schwankend und schnaufend erhob er sich wie ein lebendiger Schrank, die Liegstatt machte ihn noch breiter, als er ohnehin war. Mit seiner rechten gebundenen Hand fasste er nach der Klinke und drückte sie zaghaft herunter. Vielleicht …?
Leise quietschend schwang die Tür nach außen auf.
Jakob Kuisl grinste. Die Büttel
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