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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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sprang über eine Mauer und war schon bald im Dickicht des Auenwalds verschwunden.
    Jakob Kuisl setzte sich auf die Bank und starrte in die Ferne. Erst nach einigen Minuten merkte er, dass Blut von seiner Hand tropfte. Er hatte den Stein so fest gedrückt, dass sich die Ecken und Kanten wie Messer in sein Fleisch gegraben hatten.
     
    Johann Lechner ordnete die Papiere auf seinem Tisch im oberen Stockwerk des Ballenhauses. Er bereitete die kommende Ratssitzung vor, die für längere Zeit vermutlich die letzte sein würde. Der Schreiber machte sich nichts vor. Wenn Seine Exzellenz, der kurfürstliche Pfleger Graf Sandizell, erst einmal in der Stadt war, war es mit der Macht von Johann Lechner vorbei. Er fungierte hier nur als Stellvertreter. Graf Sandizell würde reinen Tisch machen, er würde es nicht bei einer Hexe belassen. Schon jetzt rumorte es in den Straßen. Lechner selbst hatten bereits mehrere Menschen gesagt, sie könnten bei Gott bezeugen, dass die Stechlin ihre Kälber verhext, die Ernte verhagelt und die Ehefrau unfruchtbar gemacht habe. Erst heute Morgen hatte die Steingadener Agnes ihn auf der Straße am Ärmel festgehalten und ihm mit weindurchtränktemAtem ins Ohr gehaucht, dass auch ihre Nachbarin, die Kohlhaas-Maria, eine Hexe sei. Sie hätte sie letzte Nacht auf dem Besen gen Himmel reiten sehen. Johann Lechner seufzte. Wenn es schlimm kam, würde der Henker tatsächlich viel zu tun bekommen.
    Die ersten Ratsherren trafen in der geheizten Stube ein und setzten sich in ihren teuren Roben und mit ihren Pelzkappen auf die für sie vorgesehenen Stühle. Bürgermeister Karl Semer sah Lechner abwägend von der Seite an. Auch wenn er der Erste Bürgermeister war, in Amtsgeschäften vertraute er ganz dem Schreiber. Aber diesmal schien Lechner versagt zu haben. Semer zupfte ihn am Ärmel.
    »Gibt es etwas Neues wegen der Stechlin? «, flüsterte er. »Hat sie endlich gestanden?«
    »Gleich.« Johann Lechner tat so, als müsste er noch ein Dokument unterzeichnen. Der Schreiber hasste diese fetten Pfeffersäcke, diese Popanze, die es nur aufgrund ihrer Geburt zu etwas gebracht hatten. Lechners Vater selbst war auch Schreiber gewesen und sein Großonkel auch, aber kein Gerichtsschreiber vor ihm hatte jemals so viel Macht besessen. Die Stelle des Landrichters war seit langer Zeit unbesetzt, und der kurfürstliche Verwalter kam nur selten in die Stadt. Johann Lechner war klug genug, die Patrizier in dem Glauben zu lassen, sie würden über Schongau herrschen; aber in Wirklichkeit regierte er, der Schreiber. Jetzt schien seine Macht zu wanken, und die Ratsherren spürten das.
    Johann Lechner ordnete weiter seine Papiere. Dann sah er auf. Die Patrizier blickten ihn erwartungsvoll an. Zu seiner Linken und Rechten saßen die vier Bürgermeister und der Spitalpfleger, dann folgten die übrigen Ratsmitglieder des Inneren und Äußeren Rats.
    »Ich möchte gleich zur Sache kommen«, begann Lechner. »Ich habe diese Ratssitzung einberufen, weil sich die Stadt in einer Notlage befindet. Leider ist es uns bislang nicht gelungen, die Martha Stechlin zum Reden zu bringen. Erst heute früh ist die Hex wieder in Ohnmacht gefallen. Der Riegg Georg hat sie mit einem Stein am Kopf getroffen und ... «
    »Wie ist das möglich?«, unterbrach ihn der alte Augustin. Seine blinden Augen funkelten in Lechners Richtung. »Der Riegg war doch selbst eingesperrt wegen dem abgebrannten Stadl. Wie kann er auf die Stechlin einen Stein werfen?«
    Johann Lechner seufzte. »Es ist einfach geschehen, belassen wir’s dabei. Jedenfalls kommt sie nicht wieder zu sich. Es kann sein, dass der Teufel sie holt, ohne dass sie uns vorher ihre Taten gestanden hat. «
    »Und wenn wir den Leuten einfach sagen, sie hätte gestanden?«, murmelte Bürgermeister Semer und wischte sich den Schweiß mit einem Seidentüchlein von der Glatze. »Sie stirbt, und wir verbrennen sie, zum Wohle der Stadt.«
    »Euer Ehren«, zischte Johann Lechner. »Das ist eine Lüge vor Gott und vor Seiner Exzellenz, dem Kurfürsten persönlich! Wir haben bei jeder Befragung Zeugen dabei! Sollen sie alle einen Meineid schwören?«
    »Nein, nein, ich dachte nur, dass ... wie bereits gesagt, zum Wohle Schongaus ...« Die Stimme des Ersten Bürgermeisters wurde leiser und verstummte schließlich ganz.
    »Wann werden wir mit der Ankunft des kurfürstlichen Pflegers rechnen müssen?«, hakte der alte Augustin nach.
    »Ich habe Boten geschickt«, sagte Lechner. »So wie es aussieht, wird

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