Die Henkerstochter
wandte er sich zum Ausgang. Als Simon noch unschlüssig neben der Kranken verharrte, winkte er ihn ungeduldig hinaus.
»Mehr können wir zurzeit nicht tun. Du kannst in der Kirche ein Gebet sprechen oder meinetwegen einen Rosenkranz beten. Ich für meinen Teil werde jetzt bei einer guten Pfeife zu Hause in meinem Garten nachdenken. Das hilft der Stechlin mehr.«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er die Fronfeste.
Als Simon zu sich nach Hause kam, saß sein Vater in der Stube vor einem Becher Wein und wirkte sehr zufrieden. Er mühte sich sogar ein Lächeln ab, als sein Sohn eintrat. Simon erkannte, dass er ein wenig betrunken war.
»Gut, dass du mal wieder da bist. Ich werde Hilfe brauchen. Die kleine Maria vom Dengler hat einen Aussatz und der Bichler Sepp ...«
»Du hast ihr nicht helfen können«, unterbrach ihn Simon abrupt.
Bonifaz Fronwieser sah ihn verständnislos an. »Was sagst du?«
»Du hast ihr nicht helfen können. Du hast gepfuscht, und als du nicht mehr weiterwusstest, hast du nach dem Henker schicken lassen.«
Die Augen des alten Medicus verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Ich habe nicht nach ihm schicken lassen, bei Gott«, zischte er. »Der Lechner wollte es. Wenn es nach mir gehen würde, hätte man diesen Quacksalber schon längst härter an die Kandare genommen. Es kann nicht angehen, dass windige Kurpfuscher wie er unser Handwerk in den Schmutz ziehen. Ein Mann ohne Studium, lächerlich!«
»Quacksalber? Kurpfuscher?« Simon hatte Mühe, seine Stimme sich nicht überschlagen zu lassen. »Dieser Mann hat mehr Verstand und Wissen als eure ganze Ingolstädter Bagage zusammen! Wenn die Stechlin überlebt, dann liegt es nur an ihm und nicht daran, dass du sie vermutlich zur Ader gelassen oder an ihrer Pisse gerochen hast!«
Bonifaz Fronwieser zuckte mit den Schultern und nippte am Wein. »Der Lechner hat mich sowieso nicht machen lassen, wie ich wollte. Lässt sich auf diesen Scharlatan ein, wer hätte das gedacht ... « Dann zog sich ein Lächeln über sein Gesicht. Es sollte versöhnlich wirken.
»Geld hat’s trotzdem gegeben. Und, glaub mir, wenn die Hebamme jetzt das Zeitliche segnet, ist’s für sie sowieso am besten. Sterben muss sie ohnehin. So erspart sie sich wenigstens die weitere Folter und das Feuer.«
Simon hob seine Hand wie zum Schlag. Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten.
»Du verdammter ...«
Bevor er weitersprechen konnte, klopfte es heftig an der Tür. Draußen stand Anna Maria Kuisl. Sie keuchte und sah blass aus, so als ob sie den ganzen Weg vom Lechtorviertel hinauf gerannt wäre.
»Der ... der Jakob«, stammelte sie. »Er braucht dich. Du sollst sofort kommen. Ich bin grad mit den Kindern vom Fluss zurückgekommen, und da saß er wie ein Stein auf der Bank. So hab ich ihn noch nie gesehen. Oh Gott, ich hoff’, es ist nichts Schlimmes ... «
»Was ist passiert?«, rief Simon. Im Hinauslaufen griff er nach Hut und Mantel.
»Er mag’s mir nicht sagen. Aber irgendwas ist mit der Magdalena. «
Simon rannte. Er sah nicht mehr, wie sein Vater den Kopf schüttelte und sorgfältig die Türe schloss. Bonifaz Fronwieser setzte sich und trank weiter seinen Schoppen Wein. Für drei Kreuzer bekam man zwar nicht den besten, aber wenigstens half er beim Vergessen.
In Gedanken versunken war Jakob Kuisl durch das Gerberviertel unten am Fluss gegangen. Bis zu seinem Haus waren es die Hauptgasse entlang nur noch wenige hundert Meter. Kurz zuvor hatte er dem Lechner die Nachricht überbracht, dass die Hebamme nicht vernehmungsfähig sei. Der Gerichtsschreiber hatte ihn ausdruckslos angestarrt und dann genickt. Er machte Jakob Kuisl keinenVorwurf; fast sah es so aus, als habe er damit gerechnet.
Schließlich warf er dem Henker doch noch einen durchdringenden Blick zu.
»Du weißt, was jetzt kommen wird, Kuisl, nicht wahr?« »Ich versteh Euch nicht, Euer Gnaden?«
»Wenn der kurfürstliche Pfleger kommt, wirst du noch viel zu tun haben. Halte dich bereit.«
»Euer Gnaden, ich glaube, dass wir der Lösung schon sehr nah ...«
Doch der Schreiber hatte sich schon abgewendet. Er schien sich nicht mehr für sein Gegenüber zu interessieren.
Als Jakob Kuisl nun um ein paar letzte Brombeerbüsche bog, sah er den Henkersgarten, der sich von der Gasse bis zum Weiher hin erstreckte. Die Weide unten am Ufer hing voller Palmkätzchen. Winterlinge und Gänseblümchen funkelten auf den feuchten Wiesen. Das Kräuterbeet war frisch umgestochen und dampfte in
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