Die Henkerstochter
Tod der Hebamme schien alle Probleme auf einmal zu lösen.«
Er lächelte Kuisl an.
»Du hast wirklich keine Lust auf einen kleinen Spaziergang?«
Der Henker schüttelte schweigend den Kopf.
»Nun denn«, sagte der Schreiber. »Dann noch einen schönen Tag und Gottes Segen.«
Den Spazierstock schwingend verschwand er Richtung Lechtor. Bürger, die ihn sahen, grüßten höflich und zogen den Hut. Bevor er in einer Gasse verschwand, glaubte Jakob Kuisl zu sehen, wie Johann Lechner den Stock noch einmal hob. So als ob er ihn aus der Ferne grüßen wollte.
Der Henker spuckte aus. Auf einmal schmeckte ihm die Pfeife nicht mehr.
Epilog
A n einem Sonntag im Juli 1659 saßen der Henker und der Medicus auf der Bank vor dem Scharfrichterhaus. Der Duft von frisch gebackenem Brot wehte von der Stube zu ihnen herüber. Anna Maria Kuisl bereitete das Mittagessen vor. Es würde Hasenpfeffer mit Gerstenkörnern und Rüben geben, das Leibgericht ihres Mannes. Draußen im Garten spielten die Zwillinge Georg und Barbara mit ihrer großen Schwester. Magdalena hatte sich ein frisches Bettlaken über den Kopf gestülpt und lief als grausiger Lechteufel verkleidet durch die blühenden Wiesen. Kreischend und lachend flohen die Kinder vor ihr und suchten Schutz bei ihrer Mutter im Haus.
Jakob Kuisl beobachtete die Szene und saugte gedankenverloren an seiner Pfeife. Er genoss den Sommer und tat nur das eben Nötigste. Der Müll auf den Straßen musste jede Woche aufgekehrt werden, ab und an war ein toter Gaul zu zerlegen, oder jemand brauchte eine Salbe gegen das Ziehen und Stechen ... In den letzten zwei Monaten hatte er so viel verdient, dass er sich einen gewissen Schlendrian leisten konnte. Für die Hinrichtung des verbliebenen Söldners Christoph Holzapfel hatte er von der Stadt ganze zehn Gulden bekommen! Der verurteilte Landsknecht, der kurz nach der Ankunft des Grafen gefasstworden war, war unter dem Beifall der Menge gerädert worden. Mit einem Wagenrad hatte ihm der Henker vor der Stadt die Arme und Beine zerbrochen und ihn dann aufs Rad geflochten und neben dem Hochgericht aufgestellt. Christoph Holzapfel lebte und schrie noch zwei Tage; schließlich hatte Jakob Kuisl ein Einsehen und strangulierte ihn mit dem Würgeeisen.
Die Leiche des auf der Baustelle erschlagenen André Pirkhofer hängte man neben seinen Landsmann in Ketten. Ebenso die Leiche des Christian Braunschweiger, den die Bürger auch nach seinem Tod immer noch ängstlich den Teufel nannten und sich dabei dreimal bekreuzigten. Sein verkohlter, zu Kindergröße geschrumpfter Leichnam wurde aus dem Schrazelloch gezogen, bevor man die Eingänge endgültig zuschüttete. Die Lippen waren verbrannt und die Kopfhaut verschrumpelt, so dass die Zähne grinsend hervorstanden. Die knochige linke Hand leuchtete weiß zwischen all dem schwarzem Fleisch, und die Leute sagten, dass sie auch am Galgen noch gewunken hätte. Zwei Wochen später war der ganze Körper des Teufels nur noch Knochen und mumifizierte Haut; trotzdem ließ ihn der Rat zur Abschreckung weiter hängen, bis die Knochen einzeln abfielen.
Der vierte Landsknecht, Hans Hohenleitner, wurde nie gefunden. Vermutlich hatte ihn der Lech weiter Richtung Augsburg getragen, wo die Fische seinen Leichnam auffraßen. Aber das spielte für Jakob Kuisl keine Rolle mehr. Alles in allem hatte der Schongauer Henker in den letzten zwei Monaten über zwanzig Gulden verdient. Das sollte für eine Weile reichen.
Simon nippte an seinem Kaffee, den ihm Anna Maria Kuisl freundlicherweise aufgebrüht hatte. Er schmeckte bitter und stark und verdrängte die Müdigkeit aus seinemKörper. Die letzte Nacht war anstrengend gewesen. Ein Fieber grassierte in Schongau. Nichts Gravierendes, aber die Leute fragten nach dem neuen westindischen Pulver, das der junge Medicus seit letztem Jahr verabreichte. Selbst sein Vater schien mittlerweile davon überzeugt zu sein.
Simon blickte zum Henker hinüber. Er hatte Neuigkeiten, die er seinem Freund und Lehrmeister nicht vorenthalten wollte.
»Ich war heute früh bei den Augustins«, sagte er so beiläufig wie möglich.
»Und?«, fragte Jakob Kuisl. »Was macht der junge Stutzer? Seit dem Tod seines Vaters letzten Monat hab ich nichts mehr von ihm gehört. Scheint sich ja prächtig um die Geschäfte zu kümmern, wie man so hört.«
»Er ist ... krank.«
»Das Sommerfieber? Gott gebe, dass er lange schwitzt und friert.«
Simon schüttelte den Kopf.
»Es ist ernster. Ich habe rote
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