Die Henkerstochter
Schließlich ist sie an dem Tag später krank geworden. Als sie das vom kleinen Peter erfahren hat, ist sie nach oben in ihr Zimmer und bis zum Abend nicht mehr rausgekommen. Wir haben gedacht, wir lassen sie erst mal alleine. Schließlich war der Peter ihr Spielgefährte.«
»Sie hat das Zeichen gehabt.«
»Was? « Simon schreckte aus seinen Gedanken hoch.
Maria Schreevogl hatte ihren Kopf erhoben und blickte ins Leere. Dann wiederholte sie: »Sie hat das Zeichen gehabt.«
Jakob Schreevogl sah seine Frau ungläubig an. »Was sagst du da?«, flüsterte er.
Maria Schreevogl sah weiter auf die Wand vor sich, während sie sprach: »Ich hab sie an dem Abend im Zubergewaschen. Ich dachte, ein heißes Bad mit Kräutern würde das Fieber austreiben. Sie hat sich gesträubt, aber schließlich hatte ich sie ausgezogen. Dann hat sie versucht, ihre Schulter unter Wasser zu halten, aber ich habe es gesehen. Das gleiche Zeichen, von dem jetzt alle reden. Zwar ganz verwaschen, aber trotzdem noch deutlich zu erkennen.«
Simons Stimme versagte fast. »Ein Kreis mit einem Kreuz nach unten?«, fragte er schließlich.
Maria Schreevogl nickte.
Eine lange Pause entstand. Nur das wütende Geschrei der Menge von draußen war zu hören. Endlich sprang Jakob Schreevogl auf. Sein Gesicht war krebsrot.
»Warum hast du mir nichts gesagt, verdammt noch mal?«, schrie er.
Seine Frau fing wieder zu weinen an. »Ich ... Ich … wollte es nicht wahrhaben. Ich habe gedacht, wenn ich nicht daran denke, verschwindet es wieder ...« Sie fing wieder an zu schluchzen.
»Du dumme Kuh! Wir hätten sie vielleicht retten können! Wir hätten mit ihr reden können, was dieses Zeichen bedeutet. Jetzt ist es zu spät!«
Jakob Schreevogl eilte aus dem Zimmer und verschwand mit Türenschlagen im Gemach nebenan. Simon lief ihm hinterher. Als er auf der Treppe stand, hörte er unten lautes Rufen. »Los jetzt!«, rief jemand. »Die holen wir uns! «
Simon änderte seinen Plan, er eilte die Treppe nach unten und traf draußen auf eine Meute, die mit Fackeln, Sensen und Piken bewaffnet gerade auf dem Weg Richtung Münzstraße war. Auch einige der Büttel konnte er erkennen. Vom Gerichtsschreiber und den anderen Ratsherren war nichts zu sehen.
»Was habt ihr vor?«, schrie Simon der Menge hinterher.
Einer der Aufrührer drehte sich um. Es war der GerberGabriel, der Simon damals vom Unfall des kleinen Grimmer berichtet hatte. »Wir holen uns die Hexe, bevor sie noch mehr unserer Kinder mitnimmt«, sagte er. Sein Gesicht sah im Fackelschein merkwürdig entstellt aus. Weiße Zähne leuchteten in der Dunkelheit.
»Aber die Stechlin ist eingesperrt«, versuchte Simon zu beruhigen. »Außerdem soll’s ein Mann gewesen sein, der die Clara mitgenommen hat. «
»Der Teufel war’s!«, brüllte ein anderer. Simon erkannte ihn als Anton Stecher, der Augenzeuge, der den Entführer gesehen haben wollte.
»Er hatte eine weiße Knochenhand, und er flog! Die Stechlin hat ihn hergehext! «, schrie er, während er den anderen hinterhereilte.
»Aber das ist doch Unsinn!« Simon schrie in die Dunkelheit, aber keiner schien ihn mehr zu hören. Plötzlich vernahm er polternde Schritte hinter sich. Jakob Schreevogl war die Treppe hinuntergeeilt, eine Laterne in der rechten Hand, seinen Degen in der linken. Er schien sich wieder beruhigt zu haben.
»Wir müssen ihnen nach, bevor es ein Blutbad gibt«, sagte er. »Die sind ja außer Rand und Band.« Er war bereits auf der Münzstraße, als Simon ihm nachsetzte.
Im Laufen wandte er sich an den Ratsherren. »Ihr glaubt also auch nicht mehr an Hexerei?«, fragte er.
»Ich glaube an gar nichts mehr«, keuchte Schreevogl, während sie in die Weinstraße einbogen. »Weder an den Teufel noch an den lieben Herrgott. Und jetzt rasch, bevor sie die Tür zum Kerker aufbrechen!«
Der Gerichtsschreiber Johann Lechner freute sich auf ein warmes Bad. Er hatte die Dienerschaft angewiesen, den Kessel unten in der Hofküche zu heizen. Mittlerweile warder Holzzuber in der Stube mit Leintüchern ausgeschlagen und zur Hälfte mit heißem Wasser gefüllt. Lechner öffnete Wams und Hose, legte die Kleider wohlgeordnet über den Stuhl und ließ sich dann mit wohligem Schauer in den Zuber gleiten. Es roch nach Thymian und Lavendel. Am Boden des Zimmers waren Reisig und Binsen ausgestreut. Der Schreiber brauchte dieses Bad dringend zum Nachdenken.
Die Ereignisse überschlugen sich. Mittlerweile gab es zwei tote Kinder und einen abgebrannten
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