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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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nächsten Baum aufknüpfe?«
    Das Grinsen im Gesicht des Bäckermeisters verschwand. Dann schien er sich wieder gefangen zu haben.
    »Du hast wohl noch nicht gehört, was geschehen ist, Kuisl?«, sagte er. »Die Stechlin hat den Teufel gerufen, und der ist mit der kleinen Schreevogl auf und davon geflogen.«
    Er blickte sich zu ein paar seiner Gesellen um. »Wenn wir uns nicht beeilen, dann fliegt er auch mit der Hexe fort. Vielleicht ist sie ja schon weg. «
    Die Menge murrte und rückte näher auf das schwere eiserne Tor zu, das der Henker mit seinen breiten Schultern verteidigte.
    »Ich weiß nur, dass hier immer noch Recht und Gesetz herrschen«, sagte Jakob Kuisl beiläufig. »Und nicht ein paar dumme Bauern, die mit Sensen und Dreschflegeln durch die Stadt ziehen und braven Bürgern Angst einjagen.«
    »Pass auf, Kuisl«, meldete sich jetzt der Stecher zu Wort. »Wir sind viele, und du hast nicht mal einen Prügel. Wir hauen dich tot, so schnell schaust du nicht, und dann brennst du mit der Hex! «
    Der Henker lächelte und hob seinen rechten Arm. »Das ist mein Prügel«, sagte er. »Möcht ihn jemand auf seinem Rücken spüren? Keiner?«
    Die Leute schwiegen. Jakob Kuisl war bekannt für seine Kraft, und wer schon einmal gesehen hatte, wie er einen Dieb in die Schlinge hob oder mit dem mannshohen Richtschwert ausholte, der wollte sich auf keinen Streit mit ihm einlassen. Die Stelle seines Vaters hatte er erst vor fünfzehn Jahren angetreten. Davor sei er im Großen Krieg gewesen, hieß es. Dort habe er mehr Menschen getötet, als auf den alten Schongauer Friedhof passen.
    Die Menge zog sich geschlossen einen Meter weit zurück. Dann herrschte Stille. Der Henker stand da wie ein Baum.
    Schließlich stürzte Anton Stecher nach vorne. Er hatte einen Dreschflegel in der Hand, den er gegen Kuisl schwang. »Nieder mit der Hex! «, schrie er.
    Der Henker wich dem Dreschflegel mit einer kleinen Schulterdrehung aus, packte ihn am Stiel und zog Stecher zu sich her. Dann schlug er ihm auf die Nase und warf ihn wie einen nassen Sack zurück in die Menge. Die Leute wichen zur Seite, Stecher fiel zu Boden, und ein Rinnsal Blut ergoss sich auf die Pflastersteine. Der Bauer kroch wimmernd aus dem Lichtkreis.
    »Noch jemand?«, fragte Kuisl.
    Die Leute blickten sich verunsichert an. Alles war so schnell gegangen, die Menge zischte und tuschelte. Hinten sah man die Ersten ihre Laternen löschen und nach Hause huschen.
    Plötzlich war von fern ein rhythmisches Geräusch zu hören. Jakob Kuisl spitzte die Ohren, vom Schloss her erklangen auf dem Pflaster marschierende Schritte. Gefolgt von einer Gruppe Soldaten tauchten schließlich Schreiber Lechner und der Erste Bürgermeister auf.
    Im selben Moment erschienen, vom Marktplatz kommend, Simon und Jakob Schreevogl. Als der junge Ratsherr den Gerichtsschreiber sah, steckte er den Degen zurück in die Scheide. »Gott sei’s gedankt«, keuchte er. »Es ist noch nicht zu spät. Vieles kann man dem Lechner vorwerfen, aber seine Stadt hat er im Griff.«
    Simon beobachtete, wie die Soldaten mit gezückten Lanzen sich der Rotte näherten. Nur wenige Sekunden später hatten die Aufrührer ihre Waffen weggeworfen und blickten ängstlich um sich.
    »Schluss ist!«, rief Lechner. »Geht nach Hause! Wer jetzt geht, dem soll kein Leid geschehen.«
    Einer nach dem anderen verschwand in den engen Gassen der Stadt. Der junge Semer lief zu seinem Vater, der ihm eine Kopfnuss verpasste und ihn dann heimschickte. Simon schüttelte den Kopf. Der Junge hatte fast einen Mord begangen, und der Erste Bürgermeister schickte ihn nach Hause zum Essen ... Das Leben der Stechlin war keinen Kreuzer mehr wert.
    Bürgermeister Semer sah erst jetzt den Henker, der immer noch vor der Feste wachte. »Das habt Ihr gut gemacht!«, rief er ihm zu. »Schließlich regiert hier immer noch der Rat und nicht die Straße.« An den Gerichtsschreiber gewandt fuhr er fort: »Auch wenn man die Leute verstehen kann. Zwei tote Kinder und ein entführtes Mädchen ... Die meisten von uns haben selbst Familie. Es wird Zeit, dass wir einen Schlussstrich ziehen.«
    Der Schreiber nickte. »Morgen«, sagte er. »Morgen werden wir mehr wissen.«
     
    Der Teufel hinkte durch die Straßen und hielt seine Nase in den Wind, als könnte er sein Opfer riechen. Er blieb an finsteren Ecken stehen und lauschte, er blickte unter jeden Ochsenkarren, er stöberte in jedem Misthaufen. Sie konnte nicht weit weg sein, unmöglich, dass sie ihm

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