Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
Vom Netzwerk:
nickte er ihm zu und bat ihn hereinzukommen.
    »Wenn Ihr nach unserer kranken Clara schauen wollt, dann kommt Ihr zu spät«, flüsterte Schreevogl. Simon sah, dass auch er geweint hatte. Das Gesicht des jungen Ratsherren war noch blasser als ohnehin schon. Die geschwungene,etwas zu groß geratene Nase ragte unter tränenroten Augen hervor, sein sonst wohlgeordnetes blondes Haar wirkte stumpf und fiel ihm in die Stirn.
    »Was ist passiert?«, fragte Simon.
    Maria Schreevogl fing wieder zu schreien an: »Der Teufel hat sie geholt! Er ist ins Zimmer geflogen und hat unsere kleine Clara geholt ...« Der Rest ging in Schluchzen unter.
    Jakob Schreevogl schüttelte den Kopf.
    »Wir wissen nicht genau, was vorgefallen ist«, sagte er. »Irgendjemand muss sie ... entführt haben. Er hat den Einlass unten geöffnet, obwohl er verschlossen war. Dann hat er die obere Tür eingetreten, hat unsere kleine Clara gepackt und ist offensichtlich mit ihr aus dem Fenster gesprungen. «
    »Aus dem Fenster?« Simon runzelte die Stirn. Dann trat er an den Fensterrahmen und blickte nach unten. Direkt unter ihm stand ein Heuwagen.
    Der Medicus nickte. Mit einem gewagten Sprung könnte man durchaus nach unten gelangen, ohne sich alle Knochen zu brechen.
    »Jemand von den Leuten auf der Straße meinte, er oder es sei mit der kleinen Clara weggeflogen«, sagte Simon, während er nach unten auf die Menge blickte. Wütendes Brummen wie von Bienen tönte bis zu ihm herauf. »Gibt es dafür Augenzeugen?«
    »Der Stecher Anton will’s leibhaftig gesehen haben«, sagte Schreevogl und hielt weiter die Hand seiner Frau, die leise vor sich hinjammerte. Er schüttelte den Kopf. »Bislang hab ich geglaubt, das mit den Kindern und den Morden hätte eine natürliche Erklärung, aber mittlerweile ...« Schreevogls Stimme stockte. Er wandte sich an Simon. »Was glaubt Ihr?«, fragte er den Medicus.
    Simon zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nichts, was ich nicht selbst gesehen habe. Und ich sehe, dass hier eingebrochen wurde und dass das Kind weg ist.«
    »Aber die Tür unten war verschlossen.«
    »Ein geübter Mann mit einem Dietrich, nichts leichter als das.«
    Schreevogl nickte. »Ich verstehe«, sagte er. »Dann hat der Stecher Anton wohl gelogen.«
    »Das muss nicht sein«, antwortete Simon. Er wies auf den Heuwagen unter dem Fenster. »Ich glaube, Folgendes hat sich zugetragen. Ein Mann hat sich unten mit einem Dietrich Einlass verschafft. Clara hat ihn gehört und die Tür zu ihrem Zimmer verriegelt. Er hat die Tür aufgebrochen, es kam zu einem Kampf. Schließlich ist er mit Clara aus dem Fenster gesprungen, direkt in den Heuwagen. Dann hat er sich mit ihr davongemacht.«
    Schreevogl runzelte die Stirn. »Aber warum sollte er mit dem Kind aus dem Fenster springen? Er hätte doch auch wieder zur Haustür hinauskönnen?«
    Simon fiel keine schnelle Antwort ein. Stattdessen fragte er: »Clara war eine Waise, nicht wahr?«
    Schreevogl nickte. »Ihre Eltern sind vor fünf Jahren gestorben. Die Stadt hat sie uns als Mündel zugeteilt. Aber wir haben sie genauso behandelt wie unsere eigenen Kinder. Meine Frau hatte sie sogar ganz besonders lieb ... «
    Tränen stiegen ihm in die Augen. Hastig wischte er sie weg. Von seiner Gattin war weiterhin nur Schluchzen zu hören, sie hatte sich von den Männern abgewendet und weinte leise in ihr Kissen.
    Draußen vor dem Fenster war die Menge mittlerweile größer geworden, Tumult war zu hören. Simon blickte hinaus. Neuankömmlinge hatten Fackeln mitgebracht, irgendetwas schien dort unten vor sich zu gehen.
    Der Medicus dachte nach. Auch Anton Kratz war ein Mündel gewesen, Peter Grimmer war ohne Mutter aufgewachsen. Alle hatten sie die Nacht vor dem ersten Mord bei der Stechlin verbracht …
    »War Eure Clara eigentlich öfter bei der Hebamme Martha Stechlin?«, fragte er in Richtung des Patriziers. Jakob Schreevogl zuckte mit den Schultern.
    »Ich weiß nicht, wo sie sich so rumgetrieben hat. Kann sein ... «
    »Sie war öfter bei der Hebamme«, unterbrach ihn seine Frau. Maria Schreevogls Stimme klang nun fester. »Sie hat mir selbst erzählt, dass sie sich bei ihr getroffen haben. Ich hab mir nichts dabei gedacht ...«
    »An dem Morgen vor zwei Tagen«, fragte Simon nach. »Als der kleine Grimmer starb. Ist Euch da an Clara irgendetwas aufgefallen?«
    Jakob Schreevogl überlegte kurz, dann nickte er. »Sie war sehr blass, wollte nichts zum Frühstück. Wir haben gedacht, es sei ein beginnendes Fieber.

Weitere Kostenlose Bücher