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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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entwischt war.
    Ein Geräusch war zu hören, über ihm öffnete jemand ein Fenster. Der Teufel drückte sich an die Hauswand. Mit seinem schwarzen Mantel war er in der Nacht fast unsichtbar. Ein Schwall Pisse ergoss sich vor ihm auf die Straße, dann schloss sich das Fenster wieder. Der Teufel zog seinen Mantel fest an sich und setzte die Suche fort.
    Von fern waren Rufe zu hören, aber sie galten nichtihm. Sie galten dem Weib, das sie eingesperrt hatten. Er hatte gehört, dass sie glaubten, das Weib hätte ihn herbeigezaubert. Er musste lächeln, eine schöne Vorstellung. Wie die Hexe wohl aussah? Nun, er würde sie wohl schon bald zu sehen bekommen. Jetzt musste er erst mal dafür sorgen, dass er sein Geld bekam. Die anderen hatten draußen hoffentlich ganze Arbeit geleistet, während er hier aufräumte. Er spuckte aus. Die Drecksarbeit hatten sie mal wieder ihm überlassen. Oder hatte er sie selbst gewollt? Schatten schoben sich in sein Blickfeld, blutige Schemen, Bilder … Schreiende Frauen mit klaffenden Löchern, wo Brüste hätten sein sollen. Säuglinge zerschmettert wie Spielzeug an verkohlten Mauerresten, Priester ohne Kopf in blutigen Talaren …
    Er wischte die Bilder mit der Hand weg, kühle Knochenfinger legten sich auf seine Stirn, das tat gut. Die Schemen verschwanden. Der Teufel marschierte weiter.
    Am Kuehtor sah er oben die Torwache vor sich hindösen. Der Wärter lehnte auf seinem Spieß und blickte hinaus in die Nacht, leises Schnarchen wehte herüber.
    Dann sah er den verwilderten Garten unweit des Tores. Der Zaun war eingefallen, das Gebäude dahinter eine Ruine, ein Überbleibsel aus den letzten Kriegstagen. Im Garten kroch Efeu und Knöterich die Stadtmauer empor. Dort, verborgen zwischen den Blättern, lehnte eine Leiter.
    Der Teufel sprang über die Zaunreste und betrachtete den Boden unterhalb der Mauer. Vollmond war erst wenige Tage vorüber, das Licht reichte aus, um in der feuchten Erde Spuren zu erkennen. Fußspuren von Kindern. Der Teufel beugte sich nach unten und sog den Duft der Erde ein.
    Sie war ihm entwischt.
    Schnell wie eine Katze kletterte er die schief genagelteLeiter hoch. Oben verlief ein armbreiter Sims entlang der Stadtmauer. Er blickte nach links, von dort war immer noch das Schnarchen des Wächters zu hören. Er wandte sich nach rechts und rannte den Sims entlang, an dem in regelmäßigen Abständen Schießscharten auftauchten. Nach hundert Metern blieb er plötzlich stehen und ging dann ein paar Schritte zurück. Er hatte sich nicht getäuscht.
    An einer der Schießscharten waren einige Mauersteine herausgebrochen worden, so dass das Loch jetzt annähernd dreimal so groß war.
    Groß genug für ein Kind.
    Auf der anderen Seite der Mauer ragte der Ast einer Eiche heran. Einige Zweige waren frisch heruntergebrochen. Der Teufel steckte den Kopf durch das Loch und schnupperte die kühle Aprilluft ein.
    Er würde sie suchen und finden. Vielleicht würden dann auch die Bilder verlöschen.

7
    Freitag,
    den 27. April Anno Domini 1659,
    5 Uhr morgens
     
    E s war kalt an diesem Morgen, auf den Wiesen rund um die Stadt lag eine dünne Schicht Raureif. Dichter Nebel stieg in Schwaden vom Flusstal auf. Von der Stadtkirche Mariä Himmelfahrt ertönte das Morgenläuten.
    Trotz der frühen Stunde waren auf den braunen Äckern, die gleich einem Rautenmuster auf der flussabgewandten Seite Schongaus lagen, die ersten Bauern unterwegs. Mit krummen Rücken zogen sie Pflug und Egge durch die noch halb gefrorene Erde, kleine, weiße Wolken verdampften bei jedem Ausatmen vor ihren Mündern. Einige der Bauern hatten Ochsen angespannt und trieben sie jetzt laut schimpfend vor sich her. Die ersten Händler zogen mit ihren Karren dem Kuehtor und dem Lechtor entgegen, sie hatten Käfige mit schnatternden Gänsen und quiekenden Ferkeln geladen. Müde Fuhrleute zurrten ein Dutzend Fässer auf einem Floß unten an der Brücke fest. Jetzt um fünf Uhr hatten die Tore wieder geöffnet, die Stadt erwachte zum Leben.
    Vor seinem Haus außerhalb der Stadtmauer stand Jakob Kuisl und betrachtete das morgendliche Treiben. Er schwankte leicht hin und her, seine Kehle brannte. Noch einmal hob er den Krug an die trockenen Lippen, nur umzum wiederholten Mal festzustellen, dass er leer war. Mit einem leisen Fluchen warf er ihn auf den Misthaufen, so dass die Hühner erschrocken aufflatterten und trotz der frühen Stunde zu gackern anfingen.
    Schweren Schrittes tappte der Henker die dreißig Meter hinunter zum

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