Die Herren der Unterwelt 02 - Schwarzer Kuss
getötet worden war, zu verarbeiten, musste sie Unordnung stiften. Aber William war zu träge, um ihr den Gefallen zu tun. Seine lahme Ausrede lautete, er sei eher ein friedfertiger Mensch als ein Kämpfer. Aber immerhin hatte er ihr damals Sex angeboten. Doch verbrachte Anya ihre Zeit lieber damit, Gegenstände durchs Zimmer zu werfen und Glas splittern zu lassen.
Doch dann sah sie das Buch in diesem verführerischen Schuber. Auf dem Buchrücken und Umschlag waren blutrote Rubine eingelassen. Sie riefen nach ihr wie die Sirene auf dem Meer nach den Seeleuten ruft. Weil sie wusste, was das Buch William bedeutete, machte es ihr nur noch mehr Spaß, es zu stehlen, musste sich Anya verschämt eingestehen.
„Der Umschlag sieht genau so aus wie der alte, aber die Seiten sind leer.“
Anya breitete die Arme aus. „Tut mir leid, ich konnte einfach nicht anders!“
„Jemand hätte dich schon vor langer Zeit aus dem Verkehr ziehen sollen.“
„Als ob das etwas genützt hätte“, murmelte sie.
„Warum mag ich dich überhaupt? Warum rede ich noch mit dir? Du und dein blöder allmächtiger Schlüssel. Gib mir das Buch zurück, Anya!“
„Wie kommt es eigentlich, dass alle von diesem Schlüssel wissen, nur ich noch nie etwas davon gehört hatte?“ Lucien hob die Hände.
„Warum nimmst du ihr den Schlüssel nicht einfach weg?“, schlug William mit einem hintertriebenen Grinsen vor.
„Halt den Mund, Willie!“ Anya stampfte mit dem Fuß auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Er weiß schon Bescheid.“
„Weiß er alles?“
„Ja.“ Na ja, fast.
„Lügnerin.“ William grinste. „Sag mal, Lucy“, sagte er und warf das Buch mit den leeren Seiten auf den Boden, dann klatschte er in die Hände, „weißt du auch, dass wenn sie dir den Schlüssel gibt, du dann auch ihre Erinnerungen bekommst? Dann wirst du alles über sie wissen. Jede einzelne Sünde, die sie begangen hat, jeden Diebstahl, jedes Verbrechen, jeden Mann, den sie jemals angefasst hat. Und was noch besser ist: Du wirst immer wissen, wo sie sich aufhält: Jede Sekunde, jeden Tag. Sie wird sich nie vor dir verstecken können.“
Lucien sah sie unsicher an. „Stimmt das?“
Widerwillig nickte sie. „Das gehört alles zum allmächtigen Schlüssel.“
„Wer hat dir diesen Schlüssel gegeben? Wo hast du ihn her? Warum sollte sich jemand so etwas ausdenken … das ist doch eine Last.“
William übernahm die Antwort für sie. „Ihr lieber Daddy gab ihr diesen Schlüssel, als die Götter sich endlich über ihre Strafe einig waren. Dafür, dass sie den Captain der Wachen getötet hatte, sollte sie eine unsterbliche Sexsklavin werden. Das passt doch, oder? Tartarus wusste von ihrem Fluch, und wusste auch, was das für sie bedeuten würde. Also trat er einmal als Retter auf – zum ersten Mal in seinem dummen Leben.“
„Warum, glaubst du, gab es das Gefängnis für die Unsterblichen nicht mehr? Wie, meinst du, sind die Titanen am Ende entkommen? Ohne den Schlüssel wurden sowohl Tartarus, der Mann, als auch Tartarus, das Gefängnis, geschwächt? Und schließlich gingen beide unter.“
Das war alles wahr. Als sie den Schlüssel akzeptiert hatte, bekam sie einige Erinnerungen von ihrem Vater und wusste immer, wo er zu finden war. Auch jetzt noch brauchte sie nur an ihn zu denken, und sie wusste sofort, wo er sich aufhielt.
Deswegen wusste sie auch, dass Cronus ihn ins Gefängnis gebracht hatte.
Sie war auf den Olymp zurückgekehrt, obwohl sie sich geschworen hatte, nie mehr dorthin zu gehen. Grund dafür war ihr schlechtes Gewissen, denn ihr Vater hatte für sie so viel aufgegeben. Aber auch aus Liebe zu ihm. Durch seine Erinnerungen, zu denen sie jetzt Zugang hatte, hatte sie erfahren, dass er tatsächlich nicht gewusst hatte, dass er eine Tochter hatte, bis Themis alles aufgedeckt hatte. Danach hatte er immer zu ihr Kontakt aufnehmen und ein Teil ihres Lebens sein wollen, aber er hatte nicht gewusst, wie er es anstellen sollte. Wenn er mit Anya ein Treffen vereinbart hätte, um sie kennenzulernen, hätte er sowohl seine betrogene Frau noch mehr verletzt als auch die Geliebte weiter gedemütigt, die schon genug unter den Konsequenzen der einzigen gemeinsam verbrachten Nacht zu leiden hatte.
Als Anya von Aieas angegriffen wurde, wollte Tartarus sich selbst dafür bestrafen, dass er ihr in diesem Moment nicht hatte beistehen können. Und als sie ins Gefängnis kam, betrachtete er sich als ihr Beschützer und half ihr, so gut er
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