Die Herren der Unterwelt 02 - Schwarzer Kuss
Gedanke drehte ihr den Magen um.
„Er hat den Brand gelegt“, presste Lucien hervor.
Hier geht es gerade nicht um dich, sondern um Lucien. Sie ließ seine Hand los und stellte sich hinter ihn, um ihm ihre Arme um die Taille zu legen. Sie wollte ihn daran erinnern, dass er nicht allein dort war. Sie wollte ihm Trost spenden. Sie spürte, wie die Spannung in seinen Muskeln allmählich nachließ.
Vor ihnen glitten zwei riesige Felsen auseinander und öffneten die Sicht auf einen großen Spalt. Dahinter streckten sich aus einer Schlucht viele Arme hinauf. Lucien warf den um sich schlagenden Geist zu ihnen hinunter. Es ertönte schreckliches Lachen, um bald darauf von erschütternden Schreien übertönt zu werden.
Diesen schlimmen Anblick musste Lucien jeden Tag ertragen. Anya küsste ihn von hinten aufs Ohr, um ihn von dem Flammenmeer abzulenken. „Es sterben viele Menschen. Jede Minute. Jede Stunde. Warum musst du sie nicht alle abholen?“
„Einige bleiben auf der Erde, andere werden wiedergeboren und bekommen die Chance, noch einmal neu anzufangen. Und einige, glaube ich, werden von Engeln abgeholt.“
Ah. Das hätte sie sich denken können. Über die Jahre waren ihr selbst schon einige Engel begegnet. Es waren wunderschöne Geschöpfe, wenn auch ein bisschen hochmütig. „Die Seelen, die du begleitest, haben Glück. Sollen wir die anderen holen?“
Lucien nickte, dabei erschien er weniger angestrengt als zuvor.
Die beiden anderen Leichen waren kleine brave Jungs, die sich wohl nichts vorzuwerfen hatten, denn sie kamen in den Himmel. Wie immer musste Anya über die perlenbesetzten Tore staunen. Sie waren nicht nur mit den schönsten Perlen, sondern auch mit Juwelen besetzt und strahlten eine besondere Macht aus, die Anya faszinierte. Hinter ihnen ertönten die beruhigenden Stimmen eines Engelschors. Der Gesang erfreute alle Sinne.
Hier möchte ich herkommen, wenn ich sterbe.
Wann bin ich jemals brav gewesen?
Ich bin brav. Manchmal.
„Danke, Anya, dass du mitgekommen bist. Dass du mich tröstest.“
„Keine Ursache.“ Sie und Lucien landeten wieder an Williams Frühstückstisch in der Küche. Der Sexgott saß immer noch dort, aber Anyas Blick blieb an ihrem Geliebten hängen. Lucien betrachtete sie aufmerksam. In seinem Blick lag Hitze, Verwunderung und Achtung.
„Und, wo seid ihr beiden gewesen?“, fragte der Gastgeber.
„Nirgendwo.“ Sie sah William konzentriert an, während Luciens starrer Blick auf sie dafür sorgte, dass sie nervös auf dem Stuhl hin und her rutschte. „Wo sind denn heute Morgen deine Damen?“
„Sie schlafen noch. Vamps brauchen ihren Schönheitsschlaf.“
Luciens Augen wurden groß. Offensichtlich war er nie zuvor einem Vamp begegnet.
„Vamps wie Vampir oder Vamp wie Sexgöttin?“ Sie suchte auf Williams Haut nach verräterischen Spuren. Natürlich – er trug schwarze Seidenhosen. „Ich nehme an, Eroberungen. Du siehst nicht aus, als habe dich jemand angenagt, jedenfalls niemand mit Reißzähnen.“
„Doch, ich bin gebissen worden, man kann es bloß nicht sehen. Im Gegensatz zu dir“, fügte er mit einem kurzen Seitenblick und einem Lächeln hinzu.
Lucien verschluckte sich prompt an seinem Saft. Grinsend schlug ihm Anya auf den Rücken. „Ich glaube, du hast ihn geschockt.“
„Das glaube ich kaum“, antwortete William und sah dabei Lucien an. „Wir haben euch die ganze Nacht gehört… wie die Kaninchen. Das hat mich zwar erstaunt, aber ich muss wirklich sagen, es hinzubekommen, dass diese kleine Halbgöttin nach mehr schreit, das ist schon mal was.“
„Danke“, antwortete Lucien, sobald er sich von seinem Husten erholt hatte. Aber es klang Schärfe in seinen Worten mit.
„Ich bin keine Halbgöttin, du dreckiger Hurenbock!“
Zwinkernd stellte William seine Ellenbogen auf den Tisch. „Also, was ist hier los? Du weißt, du bist bei mir immer herzlich willkommen, Anya, aber warum bist du hier? Und warum verfolgt dich der Dämon des Todes?“
Sie öffnete den Mund, um zu antworten, aber Lucien legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. Als sie ihn kurz ansah, schüttelte er den Kopf.
„Ich verrate keine Geheimnisse, Zuckerschnecke.“
„Oh, Geheimnisse? Erzähl!“ William klatschte in die Hände.
Nur zu gern täte sie es, das konnte sie nicht leugnen. Geheimnisse behielt Anya nie für sich. Das machte doch keinen Spaß! Dennoch hielt sie den Mund. Für Lucien hätte sie alles getan. An diesem Punkt war sie darüber erstaunt, dass noch
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