Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
als Weinpflanzer, Kanalarbeiter, Kuhhirt, Briefträger und Prospektor, ehe er sich schließlich als Reporter für den St. Louis Globe-Democrat und den San Francisco Chronicle niederließ. 1898 kehrte er nach Europa zurück und zog nach Paris, wo er sich der Daily Mail anschloss.
Angells Broschüre erschien 1910 unter dem Titel The Great Illusion in Buchform. Das Argument, dass nicht die Grausamkeit des Kriegs, sondern seine ökonomische Vergeblichkeit ihn als politisches Instrument untauglich machte, traf in dieser materialistischen Ära den richtigen Ton. Das Werk wurde zum Kultbuch. Bis 1913 wurden mehr als eine Million Exemplare verkauft und es gab Übersetzungen in 22 Sprachen, darunter Chinesisch, Japanisch, Arabisch und Persisch. Mehr als 40 Organisationen wurden gegründet, die seine Botschaft verbreiteten. Es wurde zitiert vom britischen Außenminister Sir Edward Grey, von Fürst Metternich und von Jean Jaurès, dem Anführer der französischen Sozialisten. Sogar Kaiser Wilhelm, der eher dafür bekannt war, auf Krieg als auf Frieden aus zu sein, soll ein gewisses Interesse an der Theorie bekundet haben.
Angells prominentester Schüler war Reginald Brett, der zweite Viscount Esther, ein liberal gesinnter Vertreter des Establishments und enger Vertrauter Königs Edward VII. Obwohl man Lord Esther mehrere hohe Regierungsposten angeboten hatte, zog er es vor, stellvertretender Kommandant von Windsor Castle zu bleiben, um dort im Verborgenen seinen beträchtlichen Einfluss auszuüben. Der wichtigste Punkt: Er war Gründungsmitglied des Committee of Imperial Defense, einer informellen, aber mächtigen Organisation, die sich nach dem Debakel des Burenkrieges gebildet hatte, um über die militärische Strategie des britischen Empires zu reflektieren und zu beraten.
Im Februar 1912 führte das Komitee Anhörungen durch, die sich auf den Handel im Krieg bezogen. Ein großer Teil der deutschen Handelsmarine war damals bei Lloyds of London versichert, und das Komitee war sprachlos, als der Chairman von Lloyds aussagte, dass Lloyds im Kriegsfall, sollten deutsche Schiffe von der Royal Navy versenkt werden, sowohl aus Gründen der Ehre als nach Aussagen der Anwälte auch wegen juristischer Verpflichtungen bereit wäre, die Schäden zu ersetzen. Die Möglichkeit, dass bei einem Krieg zwischen Großbritannien und Deutschland britische Versicherungsunternehmen dazu verpflichtet wären, den Kaiser für seine versunkenen Schiffe zu entschädigen, machte es schwierig, sich einen Konflikt in Europa überhaupt vorzustellen.
Es war kein Wunder, dass Lord Esther während einer Vorlesungsreihe über The Great Illusion in Cambridge und an der Sorbonne erklärte: »Die neuen ökonomischen Faktoren sind ein klarer Beweis für die Albernheit eines Krieges« und »das wirtschaftliche Desaster, der finanzielle Ruin und das individuelle Leid« eines europäischen Krieges seien so groß, dass ein Krieg undenkbar sei. Lord Esther und Angell hatten Recht, was die geringen Vorteile und die hohen Kosten des Kriegs betraf. Aber weil sie zu sehr auf die Rationalität der Nationen vertrauten und sich durch die außerordentlichen wirtschaftlichen Errungenschaften dieses Zeitalters beeindrucken ließen – das die Franzosen später so sinnträchtig La Belle Époque nennen sollten – schätzten sie die Wahrscheinlichkeit völlig falsch ein, dass ein Krieg unter Beteiligung aller großen europäischen Mächte ausbrechen würde.
2. Ein seltsamer und einsamer Mann
Großbritannien: 1914
Jeder, der zu einem Psychiater geht,
sollte sich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen.
Samuel Goldwyn
Am Dienstag, dem 28. Juli 1914, kam Montagu Norman, damals einer der Partner der angloamerikanischen Geschäftsbank Brown Shipley, für einen Tag nach London. Es war mitten in der Feriensaison, und wie fast alle anderen Angehörigen seiner Klasse in Großbritannien hatte er den größten Teil der vorherigen Woche auf dem Land verbracht. Er war gerade dabei, seine Partnerschaft aufzulösen und musste daher kurz in die Stadt. An eben diesem Nachmittag wurde bekannt, dass Österreich Serbien den Krieg erklärt hatte und bereits dabei war, Belgrad zu bombardieren. Trotz dieser Nachricht beschloss Norman, der sich wegen der schmerzlichen Verhandlungen »alles andere als gut« fühlte, zurück aufs Land zu fahren.
Weder er noch irgendjemand anderer in England konnte sich vorstellen, dass das Land innerhalb weniger Tage mit der schwersten Bankenkrise seiner
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