Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
aus dem Italien des 17. Jahrhunderts. Aber dieses Haus bot ihm Zuflucht vor der Welt. Auf der einen Seite hatte er ein riesiges Musikzimmer mit Kreuzgewölbe errichten lassen, in dem er kleine Konzerte veranstaltete: Streichquartette spielten Kammermusik von Brahms oder Schubert, manchmal für Norman allein. Und unterhalb des Hauses hatte er eine kleine Pferdekoppel zu einem exquisiten kleinen Terrassengarten umgestalten lassen, überschattet von Obstbäumen und mit einer Pergola, wo er im Sommer seine Mahlzeiten einnahm.
Obwohl er neben dem Haus auch noch einigen ererbten Reichtum besaß, lebte Norman recht einfach. Das Gut seines Vaters bei Much Hadham in Herfortshire hatte er seinem jüngeren Bruder überlassen, der verheiratet war und Kinder hatte. Er selbst begnügte sich mit einem kleinen Landhaus auf diesen Ländereien.
Norman sah weder wie ein Bankier aus noch kleidete er sich so. Groß gewachsen, mit breiter Stirn und einem schon weißen Spitzbart hatte er die langen, feingliedrigen Hände eines Künstlers oder Musikers. Er sah eher aus wie ein Grande aus der Zeit von Velázquez oder ein Höfling aus der Ära Charles’ II. Aber trotz seines Äußeren war sein Ruf als Bankier makellos: Sein Vater und seine Mutter stammten aus zwei der etabliertesten und berühmtesten englischen Bankiersfamilien.
1871 geboren, hatte Montagu Norman von früher Kindheit an nie den Eindruck erweckt, so richtig dazuzugehören. Von Geburt an war er kränklich und litt als Junge unter schrecklicher Migräne. Seine emotionale und äußerst nervöse Mutter, selbst Opfer von Depressionen und eingebildeten Krankheiten, war stets extrem besorgt um ihn. Wie vor ihm schon sein Großvater und sein Vater ging er in Eton zur Schule. Aber im Gegensatz zum Großvater, zum Vater und schließlich auch zu seinem jüngeren Bruder, die alle Kapitän eines Cricketteams waren, war Montagu in Wettkampf und Sport nicht herausragend, sondern ein Eigenbrötler – einsam, isoliert und allgemein unausgeglichen. 1889 schrieb er sich am King’s College in Cambridge ein, aber auch dort fühlte er sich unglücklich und fehl am Platz, sodass er nach einem Jahr wieder ging.
Sogar als junger Erwachsener schien er Schwierigkeiten damit zu haben, zu sich selbst zu finden. Lustlos reiste er einige Jahre durch Europa, lebte ein Jahr lang in Dresden, wo er Deutsch lernte und sich für spekulative Philosophie zu interessieren begann, und danach ein Jahr in der Schweiz. 1892 kehrte er nach England zurück, um in den Familienkonzern Martins Bank einzusteigen, in dem sein Vater und sein Onkel Partner waren. Er begann seine Ausbildung in der Filiale in der Lombard Street. Da er dem langweiligen Geschäft einer Handelsbank weder Begeisterung noch Interesse abgewinnen konnte, beschloss er 1894, es bei Brown Shipley zu versuchen, der Bank seines Großvaters mütterlicherseits. Seine Hauptaufgabe war die Finanzierung des Handels zwischen den USA und Großbritannien. So kam er wenigstens aus London heraus und konnte mindestens zwei Monate pro Jahr in den Büros von Brown Brothers in New York City arbeiten. Er fand das Leben in den USA mit seinen geringen sozialen Restriktionen befreiender und weniger borniert als die eingeschränkte Welt des Bankwesens in London und dachte sogar darüber nach, sich ganz in den USA niederzulassen.
Stattdessen fand er seine Befreiung im Krieg. Im Oktober 1899 brach der Burenkrieg aus. Norman war 1894 in die Armee eingetreten, hatte in jedem Sommer einige Manöverwochen absolviert und war nun Hauptmann. Sofort meldete er sich freiwillig zum aktiven Militärdienst. Er war kein besonders glühender Imperialist. Sein Motiv scheint eher eine romantische Suche nach Abenteuern und der Wunsch gewesen zu sein, seiner banalen Existenz zu entkommen.
Als er im März 1900 in Südafrika ankam, war die etwa 150 000 Mann starke britische Besatzungsarmee in einen erbitterten Guerillakrieg mit etwa 20 000 aufständischen Buren verwickelt. Norman wurde zum Kommandanten einer Einheit ernannt, die Kommandotruppen der Buren aufspüren sollte, und er wurde dabei zu einem anderen Menschen. Trotz schwieriger Bedingungen, schlechter Nahrungsmittelversorgung, drückender Hitze und Schlafmangel genoss er die Gefahr und fand zu neuem Selbstvertrauen. »Ich fühle mich jetzt wie ein anderer Mensch …«, schrieb er an seine Eltern. »Man blickt mit so etwas wie Entsetzen auf die kommende Zeit, wenn man sich wieder mit einem zivilisierten Leben begnügen
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