Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
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Schließlich wurde er mit dem D.S.O. – Distinguished Service Order – ausgezeichnet, dem zweithöchsten Tapferkeitsorden für Offiziere. Er blieb eine der Errungenschaften, auf die er am meisten stolz war. Viele Jahre lang, selbst nachdem er weltweite Prominenz erlangt hatte, blieb der Orden die einzige Auszeichnung, auf deren Nennung Norman bei der Aufnahme seines Namens in die britische Ausgabe des Who’s Who bestand. Doch die schiere körperliche Belastung forderte ihren Tribut von Normans schwächlicher Konstitution. Im Oktober 1901 bekam er eine schwere Gastritis und wurde als Invalide nach Hause geschickt.
Wieder ins Zivilleben zurückgekehrt, verbrachte er die nächsten zwei Jahre mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit. Einige Monate verbrachte er in der Villa seines Onkels in Hyères an der Riviera, der Beginn seiner langjährigen Leidenschaft für die Côte d’Azur. Erst 1905 konnte er wieder in Vollzeit für Brown Shipley arbeiten, wo er in den nächsten sechs Jahren einer der vier wichtigsten Partner wurde – eine besonders deprimierende Zeit, getrübt durch endlose Meinungsverschiedenheiten mit seinen Kollegen über die Geschäftsstrategie.
Aber es war sein Privatleben, das ihn am meisten belastete. 1906 führte eine zerbrochene Verlobung zu seinem ersten Nervenzusammenbruch. Danach zeigte er die klassischen Symptome einer manischen Depression: Auf Phasen der Euphorie folgten Zeiten schwerer Niedergeschlagenheit. Normalerweise gehörte er zu den liebenswertesten Menschen, aber wenn ihn seine schwarzen Gemütszustände überkamen, die wochenlang andauern konnten, wurde er extrem reizbar, bekam Tobsuchtsanfälle und ging unberechenbar auf alles und jeden in seiner Umgebung los. Nach 1909 wurden diese Phasen immer schlimmer, bis er im September 1911 zusammenbrach. Da ihm seine Ärzte völlige Ruhe verordnet hatten, arbeitete er in den drei folgenden Jahren nur zeitweise und zog sich immer mehr zurück. Er reiste viel, als suche er nach etwas. Im Dezember 1911 unternahm er eine dreimonatige Reise durch Ägypten und den Sudan, ein Jahr später brach er zu einer weiteren ausgedehnten Reise nach Westindien und Südamerika auf.
In Panama riet ihm ein befreundeter Bankmanager, den Schweizer Psychiater Dr. Carl Gustav Jung zu konsultieren. Er fuhr sofort zurück nach Europa und vereinbarte eine Konsultation in Zürich. Im April 1913, nach einigen Testtagen, einschließlich Tests des Bluts und der Spinalflüssigkeit, informierte der aufstrebende junge Psychiater Norman, dieser leide an einer allgemeinen Paralyse des Nervensystems (GPI) – eine Bezeichnung, die damals für durch tertiäre Syphilis ausgelöste Geisteskrankheit verwendet wurde – und werde in wenigen Monaten sterben. Zwar ähnelten einige GPI-Symptome tatsächlich denen einer manischen Depression – plötzliche Wechsel zwischen Euphorie und tiefer Melancholie, Ausbrüche von Kreativität gefolgt von Selbstmordgedanken, Illusionen der eigenen Großartigkeit –, aber hier handelte es sich um eine krasse Fehldiagnose.
Zutiefst erschüttert suchte Norman nach einer zweiten Meinung bei einem anderen Schweizer Arzt, Dr. Roger Vittoz, einem Spezialisten für Nervenkrankheiten, in dessen Behandlung er die folgenden drei Monate in Zürich verbrachte. Vittoz hatte eine Methode zur Linderung mentaler Belastungen entwickelt, wobei er meditationsähnliche Techniken verwendete. Er lehrte seine Patienten, sich zu beruhigen, indem sie sich auf eine Reihe komplizierter Muster oder manchmal auch nur auf ein einziges Wort konzentrierten. In bestimmten gesellschaftlichen Kreisen in London wurde Vittoz später sehr populär; zu seinen dortigen Patienten zählten Lady Ottoline Morrell, Julian Huxley und T. S. Eliot.
Für Norman war es der Beginn lebenslanger Experimente mit esoterischen Religionen und spirituellen Praktiken. Für eine Weile war er praktizierender Theosoph. In den 1920er-Jahren wurde er zum Anhänger von Émile Coué, ein französischer Psychologe, der die Macht der »Selbstbemeisterung durch bewusste Autosuggestion« predigte; eine Art New-Age-Kult des positiven Denkens, der damals sehr en vogue war. Er versuchte sich sogar in Spiritualismus. Schließlich begrüßte er alle möglichen seltsamen Ideen; zum Beispiel behauptete er einem Kollegen gegenüber, er könne durch Wände gehen. Weil es ihm auch ein gewisses boshaftes Vergnügen bereitete, die Leute mit seinen eher unkonventionellen Bemerkungen zu verblüffen, war es immer
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