Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
indem sie eines nach dem anderen versuchen, um das Vertrauen wiederherzustellen, das Problem mit allen Mitteln bekämpfen, jeden Tag mit dem Unerwarteten und mit erstaunlichen Verschiebungen der Stimmung im Markt zu tun haben –, dann verstärkt dies den Eindruck, dass es beim Umgang mit Finanzpaniken keine magische Kugel und keine einfache Formel gibt. Um ängstliche Anleger zu beruhigen und nervöse Märkte zu beschwichtigen, müssen Zentralbanker mit den elementarsten und am wenigsten vorhersehbaren Elementen der Massenpsychologie kämpfen. Es ist die Geschicklichkeit bei der Navigation durch diese Stürme in unbekannten Gewässern, die ihre Reputation schließlich schafft oder zerbrechen lässt.
Teil I:
D ER UNERWARTETE S TURM – A UGUST 1914
1. Prolog
Was für eine außergewöhnliche Episode im ökonomischen Fortschritt
war dieses Zeitalter, das im August 1914 zu Ende ging.
John Maynard Keynes, Krieg und Frieden:
Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrags von Versailles
1914 lag London im Zentrum eines ausgefeilten internationalen Kreditnetzwerks, das auf dem Goldstandard basierte. Das System hatte zu einer bemerkenswerten Ausweitung des Handels und des Wohlstands auf der ganzen Welt geführt. In den 40 Jahren zuvor hatte es keine großen Kriege oder bedeutenden Revolutionen gegeben. Die technologischen Fortschritte Mitte des 19. Jahrhunderts – Eisenbahnen, Dampfschiffe und der Telegraf – hatten sich über die Welt verbreitet und weite Territorien der Besiedlung und dem Handel geöffnet. Der internationale Handel boomte, weil europäisches Kapital frei rund um den Globus strömte. Es finanzierte Häfen in Indien, Kautschukplantagen in Malaya, Baumwolle in Ägypten, Fabriken in Russland, Weizenfelder in Kanada, Gold- und Diamantenminen in Südafrika, Rinderfarmen in Argentinien, die Eisenbahnverbindung von Berlin nach Bagdad, den Suez- und den Panamakanal. Obwohl das System so oft von Finanzkrisen und Bankpaniken erschüttert wurde, ging das Handelsvolumen stets nur kurzfristig zurück, und die Weltwirtschaft erholte sich stets wieder.
Mehr als alles andere, mehr sogar als der Glaube an den freien Handel, war der Goldstandard der Totempfahl dieser Ära. Gold war das Lebensblut des Finanzsystems. Es war der Anker der meisten Währungen, es lieferte die Grundlage für die Banken, und in Zeiten von Krieg oder Panik diente es als sicherer Hafen. Für die wachsende Mittelklasse in der Welt, die einen so großen Teil der Ersparnisse beisteuerte, war der Goldstandard mehr als nur ein geniales System zur Regulierung der Währungsemission. Er verstärkte alle viktorianischen Tugenden von Sparsamkeit und Vorsicht bei den öffentlichen Angelegenheiten. Er hatte, um es mit den Worten von H. G. Wells zu sagen, »eine wunderbar dumme Ehrlichkeit« an sich. Unter Bankiers, ob in London, New York, Paris oder Berlin, wurde er mit fast religiöser Inbrunst verehrt, als Geschenk der Vorhersehung, als Verhaltenscode, der über Ort und Zeit hinaus Gültigkeit hatte.
1909 veröffentlichte der britische Journalist Norman Angell, damals als Herausgeber der französischen Ausgabe der Daily Mail in Paris ansässig, eine Broschüre mit dem Titel »Europas optische Illusion«. Die These dieses dünnen Bändchens lautete, die ökonomischen Vorteile eines Krieges seien so illusorisch – daher der Titel – und die kommerziellen Verbindungen zwischen den Ländern seien nun so ausgeprägt, dass kein vernünftiges Land daran denken würde, einen Krieg zu beginnen. Das wirtschaftliche Chaos, vor allem die Störungen des internationalen Kreditwesens, die die Folgen eines Krieges zwischen den Großmächten wären, würden allen Seiten schaden, und der Sieger würde ebenso viel verlieren wie der Besiegte. Selbst wenn durch Zufall ein Krieg in Europa ausbrechen sollte, würde er bald beendet werden.
Angell saß am richtigen Ort, um über internationale gegenseitige Abhängigkeiten zu schreiben. Sein Leben lang war er so etwas wie ein Nomade. Als Sohn einer Familie aus der Mittelschicht in Lincolnshire war er schon in jungen Jahren an ein französisches Gymnasium in St. Omer geschickt worden. Mit 17 Jahren wurde er Herausgeber einer englischsprachigen Zeitung in Genf, besuchte dort die Universität und wanderte dann aus Verzweiflung über die Zukunft Europas in die USA aus. Obwohl er nur knapp über 1,50 m groß und von zierlichem Körperbau war, stürzte er sich in ein Leben voll körperlicher Arbeit. Sieben Jahre lang arbeitete
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