Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
das die Straße Unter den Linden direkt vor dem Gebäude der Dresdner Bank teilte. Er verlas eine Proklamation im Namen des Kaisers. Die Russen hatten eine allgemeine Mobilmachung angeordnet. Das bedeutete für Deutschland den Zustand der »drohenden Kriegsgefahr« und lag noch einen Schritt vor der Kriegserklärung, hieß aber, dass Berlin nun vollständig unter militärischer Kontrolle war.
Am nächsten Tag, als die allgemeine Mobilmachung angeordnet wurde, herrschte auf den Straßen wilde Aufregung. Die Kneipen und Biergärten blieben die ganze Nacht geöffnet. Überall in der Stadt und im ganzen Land suchte man nun nach Spionen. Jeder, der verdächtig war, ein russischer Spion zu sein, wurde totgeschlagen, darunter auch einige deutsche Soldaten. Am 3. August erklärte Deutschland Frankreich den Krieg und marschierte, um Frankreich zu erreichen, am folgenden Tag in Belgien ein. Großbritannien, das Belgiens Neutralität schon seit 1839 garantiert hatte, stellte Deutschland ein Ultimatum, sich aus Belgien zurückzuziehen. Als dieses Ultimatum am 4. August um Mitternacht verstrich und Deutschland sich im Kriegszustand mit Großbritannien befand, warf ein »grölender Pöbel« alle Fenster der britischen Botschaft ein. Dann zog der Mob weiter zum Hotel Adlon, das gleich daneben lag, und forderte die Köpfe englischer Journalisten, die sich dort aufhielten. Bizarre Gerüchte verbreiteten sich im ganzen Land. Einem Polizeibericht zufolge »versuchte das Pariser Bankhaus Mendelssohn 100 Millionen Francs in Gold durch Deutschland nach Russland zu schicken.« Die Jagd nach den »Goldwagen« wurde auf dem Land zu einer seltsamen Obsession. Von harmlosen Deutschen gesteuerte Autos wurden von bewaffneten Bauern und Jagdaufsehern angegriffen. Eine deutsche Gräfin und eine Herzogin wurden sogar versehentlich erschossen.
Trotz der öffentlichen Hysterie verliefen diese ersten Kriegstage noch relativ milde. Deutschland schien dem finanziellen Sturm, der durch Europa fegte, relativ gut zu widerstehen – Schachts Meinung nach wesentlich besser als Großbritannien. Es gab einige kleinere Debakel. Der Zusammenbruch der Aktienkurse in der letzten Juliwoche brachte mehrere deutsche Banken in Schwierigkeiten – die Norddeutsche Handelsbank, eine der größten Banken in Hannover, musste ihre Türen schließen – und es gab die üblichen Berichte über Selbstmorde überforderter Finanziers. Einer der bekanntesten Bankiers Thüringens erschoss sich am Mittwoch, dem 29. Juli; am folgenden Tag tötete ein Privatbankier in Potsdam seine Frau und nahm anschließend selbst Zyanid.
Trotz all dieser Turbulenzen bei den Reichen blieb die Bevölkerung bemerkenswert ruhig. Im ganzen Land gab es einen Ansturm auf die kleinen Sparkassen, und lange Schlangen von Frauen, viele von ihnen Dienstmädchen und Fabrikarbeiterinnen, standen geduldig vor den Stadtsparkassen, um ihre Ersparnisse abzuheben. Es gab aber nicht die übliche panische Nachfrage nach Gold, die in diesen Tagen meist mit dem Eintritt in den Krieg verbunden war. Die Reichsbank verlor in diesen ersten paar Tagen nur 25 Millionen Dollar ihrer Goldreserven in Höhe von 500 Millionen Dollar.
Es war kein Geheimnis, dass sich die Reichsbank schon seit Jahren auf ein solches Ereignis vorbereitet hatte. Die Vorarbeiten hatten ernsthaft nach der Agadir-Krise 1911 begonnen, als Deutschland absichtlich einen Streit mit Frankreich über Marokko vom Zaun brach. Mitten in dieser Panik wurde Deutschland von einer Finanzkrise heimgesucht. Die Börse fiel an einem einzigen Tag um 30 Prozent. Im ganzen Land gab es einen Ansturm auf die Banken, weil die Menschen die Nerven verloren und Banknoten gegen Gold einzutauschen begannen. Die Reichsmark verlor innerhalb eines Monats ein Fünftel ihrer Goldreserven. Es gab Gerüchte, ein Teil davon sei durch französische und russische Banken abgezogen worden, höchstwahrscheinlich unter der Regie des französischen Finanzministers. Die Reichsbank stand kurz davor, das Minimum an Goldreserven zur Stützung der Währung zu unterschreiten. Angesichts der möglichen Erniedrigung, aus dem Goldstandard herauszufallen, gab der Kaiser nach und musste ohnmächtig zusehen, wie die Franzosen den größten Teil Marokkos übernahmen.
Einige Monate später versammelte der Kaiser, der immer noch seinen verletzten Stolz pflegte, eine Gruppe von Bankiers um sich, darunter auch Rudolf von Havenstein, den Direktor der Reichsbank, und fragte sie, ob die deutschen Banken in
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